Sympathischer Briefträger

Olivier Besancenot sieht Revolution in Frankreich als unerlässlich an

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.
Olivier Besancenot, Sprecher der Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR), hat seine Chance genutzt, sich einem Millionenpublikum im französischen Fernsehen zu präsentieren.

Zu seiner Familiensendung am Sonntagnachmittag im öffentlich-rechtlichen Fernsehsender France 2 lädt der populäre Moderator Michel Drucker immer einen Star von Bühne und Film oder aus der Politik als Hauptgast ein. Da die dreistündige Sendung ein Millionenpublikum garantiert, schlug bisher kaum ein Spitzenpolitiker von Rechts wie Links diese Chance aus, sich einmal ganz als Mensch darzustellen und bei der Plauderei mit Drucker nebenher auch seine politischen Überzeugungen und Ziele zu verbreiten. Am vergangenen Sonntag war die Reihe an Olivier Besancenot, dem Sprecher der Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR).

Für diese kleine Partei am äußeren linken Rand des politischen Spektrums, die zwar nur etwa 3300 Mitglieder zählt, aber einen wachsenden Einfluss unter linken Franzosen hat, denen die Sozialisten zu reformistisch sind, war die Einladung ein Politikum und ein Anlass zu heftigen internen Auseinandersetzungen. Eine Minderheit um Parteivorstandsmitglied Christian Piquet lehnte ein Auftreten in einer »bunten Unterhaltungssendung des bürgerlichen Fernsehens« als »Versuch einer Entpolitisierung« rundweg ab.

Doch die Mehrheit, allen voran LCR-Mitbegründer Alain Krivine, der Besancenot einst als hoffnungsvolles Talent entdeckt und gefördert hatte, setzte sich durch. »Die Chance, ein Publikum von fünf bis sechs Millionen Menschen zu erreichen, lässt man nicht vorübergehen«, entschied er. »Das ist mehr als die Zahl der Zuhörer all unserer Meetings der letzen 20 Jahre zusammengenommen.«

Die Figur, die Olivier Besancenot auf Druckers berühmtem roten Sofa gemacht hat, dürfte ihm Recht gegeben haben. Der durch Bescheidenheit sympathische 34-jährige Briefträger aus dem Pariser Vorort Neuilly wirkte überzeugend, als er erklärte, »kein Berufspolitiker« sein zu wollen, auch wenn er als unbekannter Neuling bei den Präsidentschaftswahlen 2002 gleich 4,7 Prozent der Stimmen erhielt – weit mehr als alle anderen Kandidaten links von der PS – und diesen Erfolg bei den Wahlen 2007 wiederholen konnte.

Der redegewandte Besancenot stammt aus einer Lehrerfamilie, arbeitete »aus der Erfahrung mit der alltäglichen Fremdenfeindlichkeit heraus« schon mit 14 Jahren in der Organisation »SOS Rassismus« mit und fand dann bald zur LCR. Mit einfachen Worten schilderte er, wie er immer neuen Antrieb für sein politisches Engagement in den »vielen politischen und sozialen Ungerechtigkeiten im heutigen Frankreich« findet. Darum hatte er als Gäste für seine Sendung eine Arbeitslose, eine Betriebsrätin und einen Arbeitsmediziner eingeladen, die über die skandalöse Stilllegung rentabler Betriebe und die Verlagerung der Produktion ins Billiglohnausland, über die Beschneidung der Rechte der Gewerkschaften in den Betrieben, über die gesundheitlichen Langzeitschäden durch schlechte Arbeitsbedingungen oder über die Realitäten des »Zwei-Klassen-Gesundheitswesens« erzählten.

In der Sendung ließ sich der »Stargast« Besancenot auch durch unbequeme Fragen nicht aus dem Konzept bringen. Eine »grundlegende Veränderung der Gesellschaft« ist angesichts der wachsenden Unzufriedenheit unerlässlich, auch wenn sie nicht unbedingt mit den Formen früherer Revolutionen vergleichbar sein muss und durchaus auf demokratischem Weg erreicht werden kann. Den Ländern des »Realen Sozialismus« wirft er vor, dass »durch ihr Versagen und ihre Verbrechen die Idee, dass eine andere Gesellschaftsordnung möglich ist, wohl für Generationen diskreditiert wurde«. Im gegenwärtigen politischen System lehnt er die »Einbindung in Regierungsverantwortung« ab, weil das nur zu »kosmetischen Korrekturen« führen kann, wie die reformistischen Sozialisten mehr als einmal vorgemacht haben.

Die jüngsten Enthüllungen eines Nachrichtenmagazins, dass eine Privatdetektei – offensichtlich mit Unterstützung von Beamten des Innenministeriums und von Bankangestellten – wochenlang Olivier Besancenot, seine Lebensgefährtin und ihren vierjährigen Sohn verfolgt, fotografiert und ihr Privatleben bis hin zu den Kontoauszügen ausspioniert hat, nimmt er gelassen. »Ich habe natürlich Anzeige erstattet, um feststellen zu lassen, wer das veranlasst hat und warum«, erklärt er, »aber ich bin nicht der erste Revolutionär, dem solche Behandlung zuteil wird.«

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