Eine Stadt vor dem Nichts

Dujiangyan bietet ein Bild des Schreckens

  • Peter Harmsen
  • Lesedauer: 2 Min.
Ihr Kampf gegen den Tod war aussichtslos: Mit den Armen wollten sie ihre Köpfe schützen – und auch jetzt, wo die Toten bedeckt mit Plastikplanen auf den Straßen in Dujiangyan liegen, krümmen sich die Unterarme starr vor ihren Gesichtern. Doch um sie kann sich kaum jemand kümmern: Unter den Trümmern einer Schule suchen Rettungskräfte weiter nach hunderten Verschütteten. Hoffnung gibt es einen Tag nach dem schwersten Erdbeben in China seit mehr als drei Jahrzehnten zwar kaum noch. Doch aufgeben will in Dujiangyan, das nahe dem Epizentrum liegt, niemand.

Nur wenige Sekunden haben das Leben Shi Huaiguis völlig zerstört. Das Haus, in dem er mit seiner Frau wohnte, ist nur noch ein Haufen Schutt. Überall liegen Steine – und irgendwo unter dem Geröll muss seine Frau begraben sein. Er habe sich am Montag wie jeden Tag auf den Weg zu einem Lebensmittelhändler gemacht, erzählt der 58-jährige Rentner. »Auf dem Rückweg habe ich gespürt, wie die Erde anfing sich zu bewegen. Ich habe sofort gewusst, was passiert ist«, sagt er.

Das Erdbeben hat Shi alles genommen. Wie viele andere Menschen in Dujiangyan, deren Häuser dem Erdboden gleich gemacht wurden oder die sich aus Angst vor Nachbeben nicht in ihre Wohnungen zurücktrauten, hat auch er die Nacht unter freiem Himmel verbracht. Nur eine Jacke, die ihm gute Freunde gaben, hat ihn wenigstens ein bisschen vor dem unerbittlichen Regen geschützt. Völlig durchnässt macht ein Mann im Alter von Shi seinem Ärger Luft. »Wir haben nichts mehr. Es gibt nichts zu essen, keine Unterkünfte.«

In der Kleinstadt mit ihren 60 000 Einwohnern ist nichts mehr, wie es einmal war. Viele Häuser sind bis auf die Grundmauern zerstört. Überall liegen Schutt und zersplittertes Glas. Umgestürzte Betonsäulen haben Autos unter sich begraben. Helfer suchen nach Verschütteten – und bergen eine Leiche nach der anderen. Dem chinesischen Regierungschef Wen Jiabao bot sich ein wahres Bild des Schreckens, als er auf seiner Reise durch die Unglücksregion am Dienstag auch in Dujiangyan Station machte.

Nur noch selten rufen die Helfer, dass sie unter den Trümmern einen Überlebenden gefunden haben. Schnell graben die Rettungskräfte ihn dann frei und bringen ihn in das notdürftig eingerichtete Krankenlager. Unter dem Zelt, das mitten auf der Straße aufgebaut wurde, arbeiten Ärzte und Krankenschwestern unermüdlich, aber auch verzweifelt. »Auf so etwas war niemand vorbereitet. Es ist wirklich hart«, sagt ein Mediziner.

Viele Bewohner Dujiangyans wollen so schnell wie möglich weg aus dem zerstörten Ort. Voll besetzt bahnt sich ein gelber Kleinlastwagen seinen Weg aus der Stadt. Die Tickets waren so begehrt, dass hinter dem Fahrzeug noch viele Menschen um eine Mitfahrt flehen. Auf der Hauptstraße staut sich kilometerlang der Verkehr. Dort stecken auch einige Rettungsfahrzeuge fest, die mit schwerem Gerät dringend in Dujiangyan gebraucht werden. AFP

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