Der Einzelne in seiner Welt

Schwerkraft. Junge amerikanische Lyrik

  • Harald Loch
  • Lesedauer: 3 Min.

Erfolgreiche Romane aus Amerika fliegen uns nur so um die Ohren, bestimmen den globalen Ton wie Popmusik und Kino auch. Amerika muss doch auch anders sein. Gedichte sind immer anders, haben keinen zählbaren Erfolg, sind kaum zu übersetzen, müssen nicht »spannend« oder »unterhaltend« sein, haben, wenn es hochkommt, Reim statt Plot, und auch das Establishment erwartet, dass sie subversiv sind. Ob sie »Schwerkraft« haben, können wir in einem verdienstvollen Band dieses Titels feststellen, den der rührige österreichische Verlag Jung und Jung veröffentlicht hat. Acht deutschsprachige Lyriker und Übersetzer haben über 100 Gedichte von 19 jungen amerikanischen Dichtern ausgewählt und nachgedichtet. Die amerikanischen wie die deutschen Dichter sind zwischen Ende zwanzig und Anfang vierzig Jahre alt. Der Verlag hat sich nicht für eine durchgehend zweisprachige Ausgabe entschieden – der Band sollte erschwinglich bleiben. Dafür steht am Ende des Buches je ein Gedicht jedes Lyrikers im amerikanischen Original, um wirklich einen O-Ton hören zu können. Ohnehin überzeugt das Auswahlprinzip: Keiner musste ein Gedicht übersetzen, das er nicht übersetzen konnte. So sind die Ergebnisse vielleicht das beste was man überhaupt auf Deutsch an amerikanischer Gegenwartslyrik lesen kann.

Major Jackson aus Vermont schreibt »Irgendso’n Spleen« über Autos usw. und die heute in Sao Paolo lebende Sabine Scho übersetzte folgende Zeilen sehr schön: Steve, somnambul, cool, parallel, parkt/ Zwischen 'nem Pacer und 'nem Pinto –/ Sowieso der Hippste – setzte er zurück,/ Kopf über die rechte Schulter, eine Hand ...

Manchmal ist es die Wortveränderung, die die Musik ausmacht – besonders schwer zu übersetzen! Kevin Young aus Atlanta schreibt »Errata«, die der Berliner Jan Wagner ins Deutsche brachte: ...Liebste, hieb mir doch/ noch einen Drusch/ nimm diesen Sing/

und sei mit mir verwählt.

Tessa Rumsey aus San Francisco geht das Politische grammatikalisch an. In »Mann-Topedoboot« klagt sie, hätte er mich geliebt, dann hätte er sie nicht entwickelt und meint die Landmine, die sie wie die schuldlose Konjunktion zwischen Mensch und Tötungsmechanismus funktionieren sieht. Ron Winkler, der den ganzen Band herausgegeben und eingeleitet hat, übersetzte diesen Text wie auch den nächsten vom selben Autor: »Drei Bäume für eine neue Weltwirtschaft«. Zwei kongeniale subversive Sprachkünstler haben sich in Eleni Sikelianos aus Colorado und der aus dem Taunus stammenden, heute in Berlin lebenden Monika Rinck gefunden, die zuletzt mit ihrem surrealen Essay »Ah, das Love-Ding« Aufsehen erregte. Hier hat sie u.a. den poetischen Kurzessay »Wenn ich an Sex denke, ein feuchter Nebel« übersetzt, in dem es zum Schluss heißt: ...und wenn ich an sie/ denke und an Sex, denke ich, ich will/ keinen Sex mit einer toten/ Person bevor ich tot bin.

Tempo, Ton und Themen können unterschiedlicher kaum sein. Junge amerikanische Lyrik zeigt uns kein Land wie die auflagenstarke Prosa. Gedichte sind keine Reiseführer oder soziologische Seismografen. Sie zeigen den Einzelnen vor seiner Welt und stellen den Leser vor dieses Bild: ein Einzelner sieht einen Einzelnen vor seiner Welt. Und vor den Millionen von Landminen sind alle Einzelnen gleich!

Schwerkraft. Junge amerikanische Lyrik Jung und Jung. 232 S., brosch., 22 EUR.

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