nd-aktuell.de / 15.05.2008 / Kultur / Seite 13

Um des Friedens willen

Die Israel-Lobby in den USA braucht eine neue, zeitgemäße Agenda

Heinz-Dieter Winter

Warum spielen – abgesehen von den Versprechen der demokratischen Kandidaten Hillary Clinton und Barack Obama, die US-Truppen aus dem Irak abzuziehen – Forderungen nach grundsätzlichen Veränderungen der in vieler Hinsicht gescheiterten Washingtoner Nah- und Mittelostpolitik im amerikanischen Wahlkampf keine Rolle? Warum bekräftigt jeder Präsidentschaftskandidat seine tiefe Verbundenheit mit Israel und vermeidet jedwede Kritik an völkerrechts- und menschenrechtswidriger Politik Israels gegenüber den Palästinensern? Antworten auf diese Fragen finden sich in dem Buch »Die Israel-Lobby« der beiden renommierten amerikanischen Politikwissenschaftler John J. Mearsheimer und Stephen M. Walt. Sie schreiben, dass die politische Macht der Israel-Lobby – »einer der mächtigsten Interessengruppen in den Vereinigten Staaten« – dazu führe, dass auch im Hinblick auf die amerikanischen Wahlen im November 2008 kein Kandidat und keine Kandidatin Israel offen zu kritisieren wage. »Wer das täte, würde auf der Strecke bleiben.«

Die Israel-Lobby – ein »lockerer Verbund von Individuen und Gruppen« – wirke ständig dafür, die US-Außenpolitik zugunsten einer mehr oder weniger bedingungslosen Unterstützung für Israel zu beeinflussen Das Ausmaß materieller, militärischer und diplomatischer Unterstützung Israels durch die USA – mit drei Milliarden Dollar im Jahr erhält Israel die höchste Auslandshilfe überhaupt – gehe größtenteils auf diese zurück. Die Autoren analysieren das Netzwerk der Lobby, in dem das American Public Affairs Committee (AIPAC) die zentrale Rolle spielt, und analysieren die verschiedensten Methoden, mit denen auf Kongress- und Senatsabgeordnete und auf Kandidaten, die Abgeordnete werden wollen, sowie auf die Kandidaten in Präsidentschaftswahlen, durch Spenden oder auch Spendenverweigerung, durch Briefe und Positionspapiere und Medienkommentare zur Lage im Nahen Osten Einfluss genommen wird. Kritiker israelischer Politik wie der ehemalige Präsident Jimmy Carter werden auf Betreiben von Hardlinern als antisemitisch verleumdet.

Dabei habe die Lobby, zu der auch Nichtjuden, wie die sogenannten christlichen Zionisten gehören, durchaus nichts mit »Verschwörung« oder »Geheimbund« zu tun. Sie agiere im Rahmen amerikanischer Gesetzlichkeit und der in den USA üblichen Gepflogenheiten, ist aber mit seinem Engagement und in seiner Effektivität mit keiner anderen Lobby, etwa der proarabischen, zu vergleichen. Die Autoren, die sich selbst als »proisraelisch« bezeichnen, haben nichts dagegen, dass es diese Lobby gibt; aber sie kritisieren deren gegenwärtige Agenda. Die USA hätten »durchweg die israelischen Anstrengungen unterstützt, die nationalen Bestrebungen der Palästinenser zu unterdrücken oder zu begrenzen«, was zu einem enormen Ansehensverlust der USA im Nahen Osten führte. Ohne den Einfluss der Lobby, insbesondere der Neokonservativen, hätte es wahrscheinlich den Krieg gegen den Irak nicht und dafür vielleicht schon einen Friedensvertrag zwischen Israel und Syrien auf der Grundlage der Rückgabe der 1967 okkupierten Golanhöhen gegeben. Israel und die Lobby drängen die USA seit Jahren zu einer »strategisch unklugen Politik« gegenüber Iran und einen »moralisch falschen« Krieg gegen die Hisbollah und Libanon. Nach Ansicht der Autoren haben die Vereinigten Staaten auch deshalb ein Terrorismusproblem, weil sie Israel seit langem nahezu bedingungslos unterstützen. Und Israel habe das Terrorismusproblem, weil es palästinensische Gebiete besetzt hält.

Die beiden Wissenschaftler weisen nach, dass die Nah- und Mittelostpolitik der USA in den meisten Fällen nicht so agierte, wie es die eigenen Interessen gebieten müssten, sondern in erster Linie dem folgte, was aus israelischer Sicht wünschenswert war, selbst wenn Vertreter der Vereinigten Staaten ernsthafte Bedenken hatten. Sie begründen, dass der Einfluss der Israel-Lobby auf die USA-Politik in den letzten Jahren, »nicht im nationalen Interesse der Vereinigten Staaten liege und auf lange Sicht sogar Israel schade«. So wäre die Lage für Israel heute besser, wenn die USA schon vor langer Zeit ihre finanziellen und diplomatischen Machtmittel eingesetzt hätten, um Tel Aviv vom Siedlungsbau im Westjordanland und im Gaza-Streifen abzuhalten und stattdessen geholfen hätten, dort einen lebensfähigen palästinensischen Staat zu schaffen. Das Fazit der Autoren: »Anstatt von strategischem Nutzen für die Vereinigten Staaten wurde Israel zur strategischen Last.« Es sei an der Zeit, dass die USA Israel nicht mehr als einen Sonderfall, sondern als einen ganz normalen Staat behandeln.

Die angesehene Zeitschrift »Foreign Affairs« urteilte über dieses Buch, es sei eine nüchterne Analyse, »die vielleicht einen nützlichen Paradigmenwechsel in der Nahostpolitik der Vereinigten Staaten herbeiführen könnte«. John J. Mearsheimer und Stephen M. Walt selbst wünschen sich, dass die Lobby ihre Agenda neu ausrichtet – für eine Politik, die Israel befähigt, mit allen arabischen Nachbarn in Frieden und Sicherheit zu leben. Das erscheint nicht chancenlos, da die einseitige Position der Lobby nicht der jüdischen Mainstream-Meinung entspricht. Eine Reihe prominenter amerikanischer Juden würde sich um eine neue Lobby-Gruppe mit dem ausdrücklichen Ziel eine Alternative zum AIPAC zu schaffen bemühen. Die beiden amerikanischen Wissenschaftler fordern zu einer Debatte darüber auf, wie weit die Solidarität mit Israel gehen und ob sie bedingungslos sein darf. Es ist an der Zeit dafür, denn vollmundige Versprechungen wie die jetzt von Noch-Präsident George W. Bush nützen niemandem.

John J. Mearsheimer/Stephen M. Walt: Die Israel-Lobby. Wie die amerikanische Außenpolitik beeinflusst wird. Campus Verlag, Frankfurt/New York. 503 S., geb., 24,90 EUR.