nd-aktuell.de / 15.05.2008 / Kultur / Seite 9

Justizmord im Kanzlerbungalow

Theatertreffen Berlin: Schillers »Maria Stuart« vom Thalia Theater Hamburg

Christoph Funke
Paula Dombrowski
Paula Dombrowski

Die Zentrale der Macht ist sauber, hell, fast angenehm luftig. Ein Bungalow, von ein paar Baumstämmen im Lichthof durchwachsen. Schlichte Möbel, zweckmäßig und schmucklos. Dunkel und adrett gekleidet, beraten hier die Manager des großen Unternehmens. Über den Staat, den sie beherrschen wollen, und über eine Frau, die stört.

Denn unangenehmer Weise gibt es eine Gefangene im luftigen Zentralraum des vielgliedrigen ebenerdigen Gebäudes: Maria Stuart, Königin von Schottland, mit dem Tode bedroht, festgebunden auf einem Stuhl, halb Thron, halb Hinrichtungsapparat. Schiller heute. Eine Tragödie, herunter- und hineingeholt in die Konferenzräume einer bedeutenden, auf Globalisierung drängenden Firma. Geleitet von einer Frau, Elisabeth, der Königin von England. Also ist eine Königin zu viel im Bungalow (Bühne Katja Haß). Wie wird man die schottische Konkurrentin los, so sauber wie nur möglich? Arbeit für die Unternehmensberater. Wer da Graf, Baron, Ritter, Schatzmeister ist, spielt keine Rolle. Jeder der Herren hat seine Geschäftsinteressen. Keiner vertraut dem anderen, Betrug und Verrat sind erwünscht und einkalkuliert. Die Schlipsträger könnten Abgeordnete sein, Senatoren, Minister, unauffällig, austauschbar und doch gefährlich. Sie sind da, wenn sie gebraucht werden, gehen weg, wenn es hinter den Kulissen um die dreckige Arbeit geht.

Kein Blut, keine Grausamkeit, keine Folter, man weiß sich zu benehmen, Nur gelegentlich, wenn der Kurswert dieser oder jener Unternehmung zu fallen droht, geht man aufeinander los – laut, sehr laut, hysterisch, schamlos, bis zur Lächerlichkeit.

Bringt Stephan Kimmig im Thalia Theater Hamburg Friedrich Schillers Trauerspiel »Maria Stuart« bedenkenlos auf die Bühne, zurechtgemacht für den Tagesgebrauch, für schnelles Verständnis? Das Pathos ist weg, das Ringen um hohe Ideale gibt es nicht mehr, von 17 namentlich aufgeführten Personen bleiben neun; in knapp zwei Stunden sind fünf Akte (164 Seiten in der Schiller-Nationalausgabe) abgearbeitet. Der Verlust aber wird Gewinn. Kimmig zeigt, wie Terrorismus funktioniert. Wie der gnadenlose Kampf um Macht, gerade in der »Sauberkeit« der Chefetagen, Menschen infiziert wie ein unbehandelbarer Virus, welcher Leben und Menschenwürde unaufhaltsam zerstört. Dazu stellt er das Gleichgewicht her zwischen den Königinnen. Maria, gespielt von Susanne Wolff, ist jung, leidenschaftlich, unbelehrbar aggressiv, heiß, ein Energiebündel. Nur mühsam hält sich die Gefesselte im Zaum, sie drängt nach außen, will die Herrschaft, und wenn sie das Leben kostet. Elisabeth, gespielt von Paula Dombrowski, strahlt Kälte aus, fast Starrheit. Mit weiß geschminktem Gesicht steht sie ragend da, hilflos unter dem Geprassel der von den Männern vorgebrachten Argumente. Die Schauspielerin lässt den Machtwahn der Elisabeth aus einer qualvollen Verkrampfung hervorgehen, zeigt die ungeheure Anstrengung, frei zu werden. Und wie aus der Gesittung der strategischen Beratungen dann plötzlich Wut hochkocht und Verzweiflung, wie diese Elisabeth ihre Ängste und Bedrückungen herausschreit, straft die Wochenendidylle im Bungalow höhnisch Lügen.

Auch Elisabeth Wolffs Maria hat diese Ausbrüche in fessellose Unbeherrschtheit, zwei Frauen stehen auf der Bühne, zu allem fähig. Und die Männer – im oft wie beiläufigen Kommen, Bleiben, Gehen beschwören sie die Etikette öffentlicher Auftritte. Man verliert nicht sein Gesicht. Ein Achselzucken reicht, eine halbe Drehung zur Seite. Geschäfte sind halt so, es gibt Gewinner und Verlierer.

Einer aber ragt heraus: der Leicester des Werner Wölbern. Ein Plebejer, ein Glatzkopf, ein Clown, der sich im Rollkragenpullover in die vornehme Gesellschaft gemischt und Zugang zum spartanischen Schlafgemach der Elisabeth hat. Wendig und pfiffig denunziert Wölberns Graf die steife Gesellschaft, und zeigt den Feigling als besonders skrupellosen, teuflischen Spieler um die Macht.

In der zeremoniellen Wohlerzogenheit der Geschäftsleute um die Chefin Elisabeth entdeckt die Aufführung Strukturen eines im Machtwahn entgleisten staatlichen Apparates, der jedes Verbrechen, das der eigenen Existenz dient, nicht nur zulässt, sondern fordert und befördert. Und doch gibt es bei Schiller am Schluss des Trauerspiels diesen Staatsapparat nicht mehr, er hat sich aufgelöst und in alle Winde zerstreut. Eine Hoffnung? »Die Gegnerin ist tot. Du hast von nun an nichts mehr zu fürchten«, sagt der Lordsiegelbewahrer zu Elisabeth und geht aus dem Amt. Furcht beseitigt, durch einen Justizmord.