Hochschullehre für einen Hungerlohn

Sachsen spart an der Qualität der akademischen Ausbildung, wie das Beispiel Leipzig zeigt

  • Ronald Laut und
  • Lesedauer: 5 Min.
Matthias Gärtner
Vielleicht bald ein Großverdiener im Vergleich zum nichtprofessoralen akademischen Lehrpersonal
Vielleicht bald ein Großverdiener im Vergleich zum nichtprofessoralen akademischen Lehrpersonal

Schlechte Arbeitsbedingen und vor allem eine unzureichende Bezahlung sind keine Seltenheit an deutschen Universitäten, auch nicht an der Universität Leipzig.

Verwaltung und die Professorenschaft der Universität legen eine gewisse Kreativität an den Tag, wenn es um die Gestaltung von für sie kostengünstigen Arbeitsverhältnissen geht. Die Zahl der befristeten und geteilten Stellen nimmt stetig zu, meinen nicht nur die Vertreter des Personalrates der Universität Leipzig Bernd Bendixen und Wolfgang Keller. Angestellte an deutschen Hochschulen müssen neben schlechter Bezahlung oft in der Ungewissheit leben, ob sie im nächsten Monat noch Lohn erhalten.

Unrühmlicher Höhepunkt ist der Fall einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin, die nach eigenen Angaben in nur zwei Jahren 17 befristete Arbeitsverträge erhielt. Besonders prekär sind die Verhältnisse für Lehrbeauftragte, sofern sie nicht über einen anderen richtigen Arbeitsvertrag bei einem anderen Arbeitgeber verfügen, denn durch den Lehrauftrag entstehen keinerlei sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen für die Universität. Auch der zuständige ver.di-Vertreter beschreibt in der Stellungnahme zum neuen Sächsischen Hochschulgesetz die Arbeitsbedingungen für die studentischen und wissenschaftlichen Hilfskräfte als »häufig gesetzeswidrig«, oft gebe es keine Gewährung von Urlaub, keine Entgeltfortzahlung bei Krankheit, dafür müsse Arbeit dann nachgearbeitet werden, um auf die Stundenzahl zu kommen.

Aber auch die Anstellung als wissenschaftlicher Mitarbeiter ist keine Garantie für ein geregeltes Arbeitsverhältnis. Besonders dann nicht, wenn man nur eine von vier Viertelstellen erhalten hat, die beispielsweise für die neu besetzte Professur für internationale Beziehungen am Institut für Politikwissenschaft zu vergeben waren. Von dieser Art der Stellenbesetzung weiß selbst der Personalrat nichts, denn, so meint Personalratsvorstand Dr. Bernd Bendixen, der Personalrat wird bei halben oder gar Viertelstellen außen vor gelassen. Generell müssten Bewerber um Stellen von wissenschaftlichen Mitarbeitern an sächsischen Hochschulen die Teilnahme des Personalrats am Bewerbungsverfahrens ausdrücklich wünschen. Dies geschieht aber in der Regel nie.

Ausstieg aus dem

Flächentarifvertrag

Allerdings ist die ehemalige Prorektorin für Lehre und Studium, Charlotte Schubert, an der Universität Leipzig besser informiert. Sie erwähnt in einer Podiumsdiskussion die Existenz von Drittel- und Viertelstellen als Zeichen einer miserablen finanziellen Ausstattung der Hochschulen. In Sachsen besteht nicht einmal die Pflicht halbe Stellen öffentlich auszuschreiben. Auch der jetzige Prorektor für strukturelle Entwicklung der Universität Leipzig, Prof. Dr. Robert Holländer, beklagt die Verschlechterung der Bezahlung an deutschen Hochschulen: »Ich war vor dreißig Jahren studentische Hilfskraft und habe genauso viel bekommen, wie solche Studenten heute erhalten!«

Neue Gefahr droht von einem Pilotprojekt im Rahmen des neuen sächsischen Hochschulgesetzes. Dabei soll es der TU Dresden erlaubt werden aus dem Flächentarifvertrag auszusteigen. Das Modell könnte dann bald an anderen sächsischen Hochschulen Schule machen. Eine Folge wäre eine weitere mögliche Spreizung der Gehälter an sächsischen Hochschulen. Um renommierte Professoren einzukaufen, muss bei den begrenzten Mitteln an anderen Stellen gespart werden. Ausbeutung würde übrigens genauso jetzt schon betrieben, so Prof. Cornelius Weiss, ehemaliger Rektor der Uni Leipzig und sächsischer SPD-Landtagsabgeordneter.

Doch nicht nur Geld ist für junge Wissenschaftler ein Problem. Ihnen fehlt häufig Zeit. Fast 40 Prozent Jungakademiker, die derzeit an einer wissenschaftlichen Weiterqualifikation arbeiten, haben laut einer Umfrage nicht ausreichend Zeit für ihre Dissertation oder Habilitation. Gerade die jungen Mitarbeiter müssen sich »mit allen Möglichen« beschäftigen. Sie führen nicht nur Lehrveranstaltungen durch und korrigieren Hausarbeiten, sondern sind neben bürokratischen Dienstleistungen auch für die Abnahme von Prüfungen zuständig. Deren Zahl hat ebenso wie der bürokratische Aufwand durch die Einführung von Bachelor- und Master-Studiengänge erheblich zugenommen. Ein Mitarbeiter an der Philologie berichtet von weit über 200 Prüfungen, die er allein mit seiner halben Stelle in einem Monat abzunehmen hatte.

Lehrkräftemangel gibt es an allen Fakultäten. Dies führt zu Überlastung der wenigen Mitarbeiter. Wirklich zufrieden ist mit den Lehrbedingungen laut einer Personalbefragung der Universität Leipzig niemand. So klagt beispielsweise das Gros der Hochschulmitarbeiter über chronische Unterausstattung in allen Bereichen. Trotz alledem bleiben die Hochschulen und die Universität Leipzig angesehene Arbeitsplätze. Rund drei Viertel der Befragten würden sich wieder für ein Beschäftigungsverhältnis dort entscheiden. Daher werden gerade in den ersten Jahren massive Abstriche in Kauf genommen. Auf der untersten wissenschaftliche Ebene wird teilweise nur noch auf Lohn gehofft, lakonisch heißt es hier: »Es wäre fair, wenn der Lehrauftrag bezahlt würde.« Am Universitätsklinikum wird unter anderem darüber geklagt, dass junge Mitarbeiter bei voller Arbeitszeit für 650 Euro im Monat wissenschaftliche Höchstleistung vollbringen müssen.

Arbeiten für die Hälfte

des früheren Lohns

Die Gewöhnung an die schlechten Zustände erfolgt heute schon früh. Im Herbst 2007 war es jedoch selbst den studentischen Hilfskräften am Institut für Politikwissenschaft zu viel, als ihre Stellen mit Entgelt für zehn Stunden Arbeit die Woche auf fünf bei selber Arbeitsleistung gesenkt wurden. Die Folge war, dass es erstmals zu einem Streik der Studentischen Hilfskräfte an dem Institut kam.

Auch die ehemalige Vorsitzende der Gewerkschaft GEW in Sachsen Eva-Maria Stange (SPD) und heutige sächsische Staatsministerin für Kunst und Wissenschaft beklagt in einem Interview: »Mehr Lohndumping, als wir momentan an den Unis haben, kann es kaum geben.« Um dem »Lohndumping« entgegenzuwirken, müssen jedoch mehr Vollzeitstellen über mindestens drei Jahre an den Universitäten vorgehalten werden. Dies kann allerdings erst gelöst werden, wenn die Hochschulen tatsächlich Globalhaushalte haben und freier über ihre Stellen verfügen können. Mit der Novellierung des Sächsischen Hochschulgesetzes, welches im Wintersemester 2008/2009 in Kraft treten soll, soll laut Stange das dann möglich sein.

Bis dahin müssen sich nicht wenige Wissenschaftler ihren Lebensunterhalt durch mehrere Beschäftigungsverhältnisse oder durch ergänzende Maßnahmen im Rahmen von ALG II finanzieren. Genaue Angaben kann die ARGE selbst für den Raum Leipzig nicht geben, weil diese Details angeblich nicht erfasst werden.

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