Mädchenblut auf weißen Laken

Max Dohner meditiert über Lust und Leid der Liebe

  • Benjamin Jakob
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor ein paar Jahren saß Max Dohner (Jahrgang 54, geboren am Zürichsee, Foto: Verlag) eines Nachmittags in einem Café, der Kuchen kam, das Kännchen, Schokolade dazu, Sahne, das Tütchen Zucker. Auf dem Tütchen stand – nanu? – ein Satz von Friedrich Nietzsche, und Dohner dachte: »Nietzsche – ausgerechnet! Nietzsche ist der Letzte, um uns Zucker zu geben.« Gleich war es mit Kaffee befleckt, das Tütchen und das Sprüchlein darauf, die Botschaft des Philosophen kaum noch zu entziffern: »Nicht mangelnde Liebe, sondern mangelnde Freundschaft führt zu unglücklichen Ehen.« Vielleicht hatte Dohner einen Roman dabei an jenem Nachmittag, irgendwas von Milan Kundera. Er las: »Er weiß sehr wohl, dass von den zwei- oder dreitausend Liebesakten im Leben lediglich zwei oder drei wesentlich und unvergesslich bleiben«, und fühlte sich angesprochen. Oder war es ein Band von Juan Carlos Onetti, »Das kurze Leben«, ein Abschnitt über eine triste Romanze aus dem Zwielicht einer Spelunke? Der Uruguayer, notierte Dohner, sei einer der wenigen, die Paargeschichten erzählen, ohne sie zu erklären. »Onetti ist nicht zu verstehen, so wenig wie das Leben.«

Musik lief, Bob Dylans »Shelter from the storm«, ein Stück aus Dohners Jugend. »›Komm rein‹, sagte sie, ›ich geb' dir Schutz vor dem Sturm.‹« Auf dem Heimweg im Auto rockte Bruce Springsteen. »Wir schworen, uns immer zu erinnern: kein Rückzug, Baby, keine Kapitulation«. Aber irgendwann, dachte Dohner, haben auch diese beiden kapituliert, ein Mann, ein Mädchen ... »Die schöne Weise vom Jugendtrotz ist mittlerweile rund 25 Jahre alt. Doch schon bei ihrer Geburt auf dem Album »Born in the USA« war sie pure Nostalgie – das Beste, was einem Rocksong passieren kann, wenn er beides ist: Rebellion und Trauer.«

Ein Zeichen geschah und noch eines an jenem Tag vor ein paar Jahren. (Oder verteilten sich die Zeichen auf Wochen?) Und alle hatten sie mit Liebe zu tun. Mit der Sehnsucht nach Liebe. Mit der einen großen, der nie gelebten, unmöglichen Liebe.

Max Dohner hat sich Zeit genommen, über die Zeichen nachzudenken. Viel Zeit. Vier Jahre lang (bis Oktober 2007) sinnierte er über Lust und Leid der Leidenschaft, alle vierzehn Tage, in einer Kolumne für die »Aargauer Zeitung« aus der Schweiz. »Liebeslaube« hieß das Plätzchen im Blatt. Denn dies sollten die kleinen Texte sein: jeder eine Laube, abgeschirmt und doch offen für Ausblick und Einblick. Unterschlupf im Unwetter, ein Ort, um allein oder zu zweit sein zu dürfen. Hundert Mal saß der Journalist und Roman-Autor in der Laube, an hundert Schmuckstücken hat er gefeilt. Eine Auswahl dieser Preziosen finden wir nun vereint zu einer Art Handbuch erotischer Obsessionen. Liebe? Da wissen wir alle Bescheid. Max Dohner las lediglich die Fundstücke auf – hier einen Satz aus einem Roman, aus der Rede eines Politikers, einem Internet-Chat, da einen Fetzen Schlager, eine Zeile Pop, eine Botschaft per SMS. Treibgut sammelte er, ließ sich dann selber treiben, um an unvermutet neue Ufer zu stoßen. Jedes Zitat ein Kristallisationskern.

»Natürlich«, sagt der Autor, »enthält diese Methode viel Sympathie für den Zufall, vielleicht sogar Glaube (wie in der Liebe).« Über Hingabe hat er geschrieben, über rohe lüsterne Blicke und das manchmal öde Bett. Über Schokolade, Körperfackeln, brennende Reifen. Über verzagte Männer. Oder Machos mit Schnauzbärten. Über Reklamationsstellen für gebrochene Herzen. Über Pornografie und Mädchenblut auf einem blütenweißen Laken. Dohner fragt: »Warum ahnen Frauen, im Gegensatz zu Männern, wenn sie betrogen werden?« Er meint: »Romantik bildet die Persönlichkeit.« Und er warnt: »Achtung Paartherapie: Sie ist kein Heilmittel. Lesen Sie die Packungsbeilage!«

Der Nietzsche-Spruch von der Zuckertüte hat unseren Autor übrigens nicht beeindruckt. Was der schnauzbärtige Griesgram schon für ein Ehe-Experte gewesen sei. Und überhaupt: »Hätten Sie von sich aus die Ehe erfunden?« (So fragte Max Frisch. Max Dohner, knapp: »Die Antwort ist ›nein!‹«)

Tatsächlich, er ist ein Romantiker, wehmütig schaut Dohner auf jene, die immer noch warten, dass der oder die Richtige vorbeigeritten kommt. Die Zeit zwischendurch kann man sich bittersüß verkürzen. Mit einem Springsteen-Song, einem Roman von Onetti. Oder mit diesem Buch der Ermunterungen.

Max Dohner: Liebeslauben. Verlag Rüffer und Rub. 240 S., geb., 18,10 EUR.

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