Belgiens Zeitbombe

Regierung streitet um Brüsseler Wahlkreis

  • Tobias Müller, Amsterdam
  • Lesedauer: 2 Min.
Der einzige zweisprachige Wahlkreis des Landes droht schon nach wenigen Wochen zum Stolperstein der Regierung Belgiens zu werden. Inzwischen beschäftigt sich sogar der Europarat mit dem Thema.

»Brüssel-Halle-Vilvoorde« (BHV) ist in den letzten vier Jahrzehnten zu einem Symbol des Konflikts zwischen Flamen und Wallonen geworden. Die vorwiegend französischsprachige Hauptstadt Belgiens und EU-Metropole ist von flämischen Gemeinden umgeben. Durch den starken Zuzug frankofoner Belgier sind die Flamen jedoch vielerorts zu Minderheiten geworden. Da die Bewohner anders als im Rest des Landes Politiker beider Sprachgruppen wählen können, spiegelt sich diese Entwicklung auch in der schwindenden Repräsentanz der Flamen wider. Unisono fordern flämische Parteien daher die Trennung des Wahlkreises. Ebenso geschlossen stehen die frankofonen dagegen. Dabei ist die Frage zunehmend mit dem Dauerstreit um die Staatsreform – der von den Flamen geforderten und von den Wallonen abgelehnten Stärkung der Regionen gegenüber der Zentralregierung – verbunden und belastete auch die Koalitionsverhandlungen.

Dass das Kabinett Leterme im März dennoch die Arbeit aufnehmen konnte, war nur durch einen Kunstgriff möglich: Die BHV-Entscheidung wurde auf den Sommer verschoben. Doch dann machten die frankofonen Parteien schon Ende April Druck, und die vollmundig geforderten »fünf Minuten politischen Muts« zur Wahlkreis-Trennung erweisen sich für flämische Politiker nun als Bumerang. Einzig ein weiterer Aufschub um vier Monate konnte verhindern, dass die Koalition aus Christdemokraten, Liberalen und frankofonen Sozialisten zerfiel. Die Zeitung »De Standaard« sprach von einer »Zeitbombe« mit »kurzer Lunte«. Selbst die flämischen Liberalen, bisher fest an der Seite des christdemokratischen Regierungschefs, setzten Leterme am Wochenende mit der Forderung unter Druck, das Problem Koalitionsvertrag bis Juli zu lösen.

Wie komplex die Fragen sind, davon konnte sich Mitte der Woche eine Untersuchungskommission des Europarats überzeugen. Grund ihres Besuchs war der Streit um die Bürgermeister der drei Brüsseler Randgemeinden Linkebeek, Wezembeek-Oppem und Kraainem. Ihre Wahl liegt fast zwei Jahre zurück. Der zuständige flämische Innenminister Marino Keulen weigert sich indes bis heute, sie in ihr Amt einzusetzen, da sie entgegen der Sprachgesetzgebung französischsprachige Wahlaufrufe verschickt hatten. Im Rahmen der von Wallonen wie Flamen forcierten Identitätspolitik bekommt auch dieser kommunalpolitische Zankapfel eine nationale Tragweite.

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