Werbung

Kein Frühling in Prag

Tschechien tut sich schwer mit den Ereignissen vor 40 Jahren

  • Matthias Gärtner, Prag
  • Lesedauer: 3 Min.
Eine Tagung der Gesellschaft für europäischen Dialog beschäftigte sich jetzt in Prag mit den Ereignissen in der Tschechoslowakei 1968/69. Sie war eine Ausnahme.

Der Publizist und Ex-Dissident Petr Uhl, der neun Jahre wegen seiner politischen Haltung in tschechischen Gefängnissen verbringen musste, fand viel Lob für die Veranstaltung – und stellte mit Bedauern fest, dass es eine der wenigen zum 40. Jahrestag des Prager Frühlings in Tschechien ist. Das hat Gründe. Denn gerade die regierende rechtskonservative Bürgerpartei (ODS) hat kein Interesse an einer intensiven Debatte. Indem man sich bemüht, die damaligen Reformpolitiker der Kommunistischen Partei um Alexander Dubcek als Feinde der Nation darzustellen, soll der sozialistische Versuch in der Zeit von 1948 bis 1989 zu einer einzigen schwarzen, totalitaristischen Epoche homogenisiert werden. Die Behörden würden alles tun, damit man über die Reformbemühungen nicht spricht, meint Uhl. Schuld sei der starke Antikommunismus.

Aber auch die parlamentarische Linke hält sich im Jubiläumsjahr merklich zurück. Dass die drittstärkste tschechische Partei, die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens (KPBM), schweigt, verwundert allerdings nicht. Der in der Partei stark vertretene dogmatische Flügel sieht bis heute den Einmarsch der sowjetischen Armee als einen Akt der internationalistischen Hilfe, während der pragmatische Flügel der Partei mit dem Blick auf die eher konservative Mitgliederbasis eine offensive kritische Auseinandersetzung mit den Fehlern der Vorgängerpartei scheut.

Dass der Prager Frühling mit dem Einmarsch der sowjetischen Truppen am 21. August 1968 nicht beendet war, machte Uhl nochmals deutlich: »Wir versuchten alles, um das, was die Tschechoslowakei 1968 und schon vorher erreicht hatte, zu erhalten. In diesem Sinne war die Bewegung nicht geschlagen.« Dabei gab es Gemeinsamkeiten mit der Studentenbewegung in Frankreich oder der BRD. So griff man an den Universitäten im November 1968 und im April 1969 zum Mittel des Besetzungsstreiks. Im Vordergrund standen der Kampf um Pressefreiheit und Freizügigkeit. In der sich ausbreitenden Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit verbrannte sich der Student Jan Palach am 16. Januar 1969 auf dem Wenzelsplatz in Prag selbst. Sein Tod löste erneut große Demonstrationen aus. Das waren aber dann auch schon die letzten Regungen des Prager Frühlings. Im April 1969 wurde Gustav Husak zum neuen KP-Chef gewählt. In einer Säuberungswelle mussten Hunderttausende die Partei verlassen und verloren gleichzeitig ihre berufliche Perspektive.

Dass diese Ereignisse ihre Spuren in den sozialistischen Nachbarländern hinterließen, machte Holger Politt, Leiter des Warschauer Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung, auf der Prager Tagung deutlich. Die Entscheidung des damaligen polnischen Partei- und Staatschefs Wladislaw Gomulka, im August 1968 die Polnische Volksarmee am Einmarsch der Warschauer Vertragsstaaten in die CSSR zu beteiligen, habe direkt mit den niedergeschlagenen studentischen Protesten an polnischen Universitäten im März des Jahres zusammengehangen. Für Politt speisten sich beide Entscheidungen Gomulkas aus einer unübersehbaren Ohnmacht. In Tschechien sind jene Sozialisten und undogmatischen Marxisten, die den Prager Frühling als Ansatz für einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz verstehen, heute in der Minderheit.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal