nd-aktuell.de / 16.05.2008 / Politik / Seite 5

Milli Görüs – umstrittener Verein

Verfassungsfeindlich oder dem Grundgesetz zugetan?

Frankfurt am Main (epd/ND). Mit Klagen gegen Verfassungsschutzämter hat die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) Erfahrung. Mehrfach zog der Verband vor Gericht, nachdem er als verfassungsfeindlich dargestellt wurde. Am 21. Mai will das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig über eine Klage gegen den baden-württembergischen Verfassungsschutzbericht von 2001 urteilen. Darin wurde unter anderem erklärt, dass es bei einer IGMG-Veranstaltung gewaltverherrlichende Sprechchöre gegeben habe.

Verfassungsschützer stufen den zweitgrößten muslimischen Verband hierzulande als islamistisch ein. Die IGMG mit Hauptsitz in Kerpen ging aus mehreren türkisch-islamischen Organisationen hervor, die in den 70er und 80er Jahren entstanden waren. Der Verband hat seinen Schwerpunkt in Deutschland, umfasst aber auch Vereine in zehn weiteren europäischen Staaten zwischen Italien und Norwegen. Insgesamt hat der Verband nach eigenen Angaben 514 Moscheegemeinden, davon 323 in Deutschland. Bundesweit hat die Organisation rund 27 000 Anhänger, wie sich aus dem neuen Verfassungsschutzbericht ergibt, den Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) am Donnerstag in Berlin präsentierte.

Wie die Ziele des Verbandes einzuschätzen sind, ist umstritten. Die Organisation sieht sich als Religionsgemeinschaft und Interessenvertretung der Muslime. »Die IGMG setzt sich für die Verbesserung der Lebensverhältnisse der Muslime und den Schutz ihrer Grundrechte ein«, heißt es in einer Selbstdarstellung. Diese Grundrechte sind aus IGMG-Sicht etwa durch Kopftuchverbote für muslimische Lehrerinnen eingeschränkt.

Den türkischen Begriff Milli Görüs – wörtlich übersetzt »nationale Sicht« – deutet der Verband als »monotheistische Ökumene«. Die IGMG betont ihr Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Ordnung. In dem neuen Verfassungsschutzbericht des Bundes heißt es, die IGMG sei kein durchgehender homogener Verband. Einige Funktionäre seien offensichtlich bemüht, eine größere Eigenständigkeit gegenüber der türkischen Milli-Görüs-Bewegung des türkischen Politikers Necmettin Erbakan zu erreichen. Diese Bewegung strebt an, die türkische Staatsordnung durch eine islamische Staats- und Gesellschaftsordnung zu ersetzen.