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  • Außenpolitisches Fingerhakeln zwischen SPD und Union

Sozialdemokraten merkeln mit

Zoff in der Großen Koalition? SPD kritisiert Demagogie mit Menschenrechten nur halbherzig

  • Jürgen Elsässer
  • Lesedauer: 4 Min.
In der SPD gibt es Widerstand gegen den außenpolitischen Kurs der Kanzlerin, doch er wird immer schwächer.

Deutlicher hätte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) nicht machen können, dass er vor der Kanzlerin kuscht: Am Donnerstagmorgen traf er in Moskau mit dem ehemaligen Schachspieler Garri Kasparow zusammen, der im Westen als russischer Oppositionsführer hofiert wird. Tatsächlich konnte der um Kasparow gruppierte politische Flohzirkus – ein Sammelsurium aus Neoliberalen, verkrachten Nationalbolschewiken und offenen Nazis – bei Wahlen regelmäßig nur ein paar Prozentchen bekommt.

Kasparow wedelt mit der Fahne der Menschenrechte und kritisiert, Expräsident Wladimir Putin führe das Land »zurück in den Stalinismus« und betreibe eine »Gazpromisierung« der Politik. Als er im Mai 2007 kurzzeitig verhaftet wurde, beschwerte sich die Kanzlerin höchstpersönlich bei Putin. Nun wird Kasparow von Steinmeier aufgewertet – ausgerechnet, nachdem der neue Präsident Dimitri Medwedjew den deutschen Außenamtschef als erstes ausländisches Regierungsmitglied empfangen hatte. Die Quittung folgte auf dem Fuße: Ein für den Abend geplantes Treffen mit Putin werde »voraussichtlich« nicht zu Stande kommen, meldeten die Agenturen am Donnerstagnachmittag. Wie zum Trotz kündigte Steinmeier an, auch auf der nächsten Station seiner Reise in St. Petersburg wieder mit »Vertretern der Zivilgesellschaft«, also mit Kostgängern diverser Soros- und Goethe-Stiftungen, zusammentreffen zu wollen.

Steinmeiers Kurswende
Steinmeiers provokatives Verhalten ist auf den ersten Blick unverständlich, da er noch bis vor einiger Zeit die Einmischung der Kanzlerin in die Innenpolitik anderer Staaten mit guten Gründen kritisiert hat. »Menschenrechtspolitik ist keine Schaufensterpolitik«, kofferte der SPD-Politiker letzten November, nachdem der Dalai Lama von Frau Merkel offiziell empfangen worden war.

Auch auf anderen Konfliktfeldern hatte der Außenamtschef immer wieder die Merkeleien kritisiert. Als in Estland im April 2007 sowjetische Soldatendenkmäler geschleift wurden und es im Gegenzug zu Protestaktionen vor der estnischen Botschaft in Moskau kam, bat er seinen Amtskollegen Urmas Paet um Deeskalation – während die Kanzlerin die Esten zum Hartbleiben drängte. Dieses Frühjahr empfing er den syrischen Außenminister in Berlin und warb damit für Kompromisslösungen im Nahen Osten – zum Entsetzen Merkels, die im Schlepptau der USA das Regime in Damaskus isolieren will. Auch bei weitergehenden Sanktionen gegen Iran sperrte sich Steinmeier bis dato – und fand sich in der Runde der sechs Verhandlungsmächte damit zuletzt näher an der Position Moskaus als an der der NATO-Verbündeten.

Über die Gründe seiner Kurswende muss man spekulieren. Gab es eine Absprache mit dem Koalitionspartner, dass er, wenn er schon den Dalai Lama nicht empfangen will, wenigstens Kasparow treffen muss? Sollte das Rendezvous mit dem russischen Wirrkopf honorieren, dass Merkel auf dem NATO-Gipfel in Bukarest wenigstens einer überstürzten Aufnahme der Ukraine und Georgiens in den Pakt ihre Zustimmung verweigerte?

Die politisch Korrekten
Auch aus dem eigenen Lager steht der Außenminister unter Druck. Dass ausgerechnet Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul – eine Vertreterin der SPD-Linken, früher auch als »rote Heidi« bezeichnet – gestern den Dalai Lama hofierte, bezeugt den Einfluss des Menschenrechtsimperialismus in Milieus, die gegenüber dem offenen Kriegskurs der USA ansonsten resistent sind. Gegen die Volksrepublik China und Russland bildet sich eine Fronde heraus, die von den neokonservativen Hardlinern wie Roland Koch über die Grünen bis zu den linken Gutmenschen reicht. Von den Balkonen Kreuzberger Wohngemeinschaften hängen bisweilen Pace- und Tibet-Fahnen in trauter Eintracht.

Die Essenz dieser politischen Korrektheit formulierte am Donnerstag ein Kommentar bei »Spiegel Online«: »Seit 2005 hat es die SPD nicht geschafft, sich aus der Denkschule Gerhard Schröders zu verabschieden. Als Gazprom-Vertreter redet er heute die Menschenrechtsverstöße in Russland klein und schön. Es ist jene Realpolitik, die Altkanzler Helmut Schmidt gerne in seinen Interviews pflegt und die ihr schon früher nicht gut bekam.«

Die Menschenrechtsapostel von rechts und links hassen die SPD-Altkanzler Schmidt und Schröder, weil diese in ihren besten Zeiten, also vor allem nach ihrem Abtreten, für einen Ausgleich mit Russland und anderen Ländern warben, die den globalen Interessen der Washingtoner Falken entgegenstehen. Steinmeier umgekehrt war in der zweiten Amtszeit Schröders Architekt genau dieser Realpolitik. Will er dieses Erbe jetzt verraten, um den Koalitionsfrieden zu retten?

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