Fortuna im Nachbarabteil

Das Hygienemuseum Dresden sinniert über »Glück. Welches Glück«

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 7 Min.
»Happiness«, Meschac Gaba 2007
»Happiness«, Meschac Gaba 2007

Glücklich sind immer die anderen. Die Dänen zum Beispiel. Sie haben zwar weder majestätische Berge noch eine sonderlich erfolgreiche Fußballmannschaft, aber sie sind glücklich – und zwar so sehr, dass sie die Liste der glücklichsten Nationen anführen. Oder die Schweizer. Sie haben majestätische Berge in großer Zahl, aber kein Meer und ebenfalls eine Nationalmannschaft, die nicht zu den Großen der Welt zählt. Und trotzdem: Die Schweizer sind glücklich; sie bringen es auf Rang 3 in der Nationenwertung. Deutschland liegt zwischen Dänemark und der Schweiz – aber nur geografisch. Auf der Glücksskala sind es die Kolumbianer. Sie lassen sich durch Drogenkriege und Tropenklima nicht beirren und landen auf Platz zwei in der Weltliga der Glücklichen. Die Deutschen liegen auf Platz 21, noch hinter Kanada, Guatemala und den USA. Wenn das kein Grund ist, unglücklich zu sein.

Was aber macht die Dänen so glücklich – und warum meinen die Deutschen, das Glück so selten zu finden? Peter Horton, ein Österreicher übrigens, hat gut reden. »Wenn im Zug der Zeit das Glück seine Lieder immer wieder nur im Abteil nebenan zu singen scheint«, rät der Liedermacher und Gitarrist, »sollte man aufstehen, hinüber gehen und mitsingen.« Nach welcher Melodie das Glück aber singt, verrät Horton (der auch nicht immer Glück hatte: Beim Eurovision Song Contest 1967 wurde er nur 14. von 17 Teilnehmern) nicht. Und auch diejenigen, die sich von der neuen Sonderausstellung im Dresdner Hygienemuseum die ultimative Antwort erhoffen, werden enttäuscht. Das Glück, sagt Claudia Banz, Kuratorin der Exposition »Glück. Welches Glück« und also profunde Kennerin der Materie, »lässt sich nicht erklären«.

Der Versuch wird freilich trotzdem mit aller Macht unternommen; Ratgeberregale in Buchhandlungen legen geschwätziges Zeugnis davon ab. Sie quellen über von Handbüchern für das glückliche Leben, das freilich am ehesten deren Autoren finden dürften – so denn Geld glücklich macht. Ansonsten gilt, dass der Versuch, Glück zu lernen, »oft in Verkrampfung endet«, wie der Bamberger Soziologe Gerhard Schulze sagt. In Wien werde das Glück als »a Vogerl« betrachtet, fügt der Wissenschaftler, der an der Dresdner Ausstellung mitarbeitete, hinzu: »Und je mehr man sich abstrampelt, um so unwahrscheinlicher ist, dass sich der Vogel niederlässt.«

Dass es den Vogel Glück aber gibt, ist unbestritten, und wenn das Deutsche Hygiene-Museum schon nicht mit Empfehlungen für eine erfolgreiche Zucht aufwartet, so ist es doch bestrebt zu zeigen, in welchen Formen und Farben der Vogel auftritt, in welchen Revieren er zu stellen ist und was ihn womöglich vertreibt. Der Betrachter der Exposition, die gemeinsam mit dem Siemens Arts Program erarbeitet wurde, wird dazu auf eine Pirsch mitgenommen, die ihn zunächst durch ein Rosenspalier führt. Rosen, so die Idee von Ausstellungsgestalter Meschac Gaba, berauschen durch Farbe und Duft die Sinne und machen daher glücklich – aber sie stechen auch. Glück und Unglück, gibt der in Benin geborene und in Rotterdam lebende Künstler mit auf den Weg, liegen stets nah beieinander.

In den sieben Räumen hinter dem Rosenspalier erstreckt sich, was die Ausstellungsmacher einen »assoziativen Glücksparcours« nennen. Er führt – wie könnte es anders sein – zunächst in einen mit »Liebe« betitelten Raum, den ein Gartenpavillion für das traute Liebesglück beherrscht; danach durch ein Restaurant, in dem opulente Platten kulinarische Freuden und Geselligkeit versprechen, und in einen Sportraum, in dem ein Taucher in kühlem blauen Licht schwebt: Vor allem Menschen, denen es materiell an wenig fehlt, suchen ultimative Glücksgefühle gern in extremer körperlicher Herausforderung. Weitere Räume widmen sich der Musik und dem Körper, dessen perfekte Gestalt bereits seit der Antike als Inbegriff für Glück gilt. Während die Göttin Aphrodite noch perfekt erschaffen wurde, bedienen sich dieser Tage immer mehr Menschen medizinischer Hilfe, um dem Ideal näher zu kommen. 46 Prozent derjenigen, die sich für straffere Hüften oder eine schmalere Nase unters Messer legten, geben an, sie seien im Anschluss »sehr viel glücklicher« gewesen.

Ausgelöst werden derlei freudige Gefühle im Gehirn, dem sich dank komplexer technischer Geräte heute beim Glücklichsein zusehen lässt. Im zentralen Raum über »Neuronen« zeigt die Ausstellung derlei Bilder und sucht mittels einer begehbaren Landkarte des Hirns auch dahinter stehende Mechanismen zu erklären: Berührt der Besucher eine Tafel Schokolade oder eine Brust, so beginnen Nucleus Acumbens und Präfrontaler Cortex ebenso wild zu blinken wie bei der Lektüre eines Liebesbriefs oder dem per Knopfdruck ausgelösten tosenden Jubel. Zu erfahren ist, welche Rolle die Botenstoffe Dopamin und Endorphin für unser Glück spielen – und dass sie allein auch nicht ausreichen, um das Glück zu erklären. Das entstehe, sagt der Soziologe Schulze, »erst in der Einheit von Körper und Geist«.

Dass freilich sowohl Reize wie Essen und Sex für intensive Glücksgefühle sorgen als auch der tosende Applaus, illustriert zweierlei: Das Streben nach Glück ist eine »anthropologische Grundkonstante«, sagt Klaus Vogel, der Direktor des Deutschen Hygiene-Museums. Zugleich ist es ein gesellschaftliches Phänomen. Inwieweit freilich das Glück der Gesellschaft und des Einzelnen in einem Zusammenhang stehen, ist eine weitere Frage, der in der Ausstellung nachgespürt wird. Die »Weltkarte des Glücks« weist Dänemark als glücklichste Nation aus; über das Glück einzelner Dänen sagt das wenig aus. Auffällig ist immerhin, dass es in Afrika kaum glückliche Nationen gibt. Allerdings tragen Gesundheit, Sicherheit und Wohlstand zwar zum Glück bei, Garantie dafür sind sie indes auch nicht – sonst läge Deutschland in den Glücks-Charts weiter oben. Bruttosozialprodukt, betonte einst Jigme Singye Wangchuk, der König von Bhutan, sei etwas anderes als »Bruttosozialglück«.

Neu ist die Idee, die Wangchuk 1972 formulierte, nicht. Jeremy Bentham sah es bereits 1789 als wichtigste Aufgabe von Regierungen an, »größtes Glück für eine größtmögliche Anzahl von Menschen« zu ermöglichen.Trotzdem hat das Glück nur in einem Staat Verfassungsrang: Die Vereinigten Staaten von Amerika haben den »pursuit of happiness«, das Streben nach persönlichem Glück, schon 1776 in ihre Unabhängigkeitserklärung aufgenommen.

Nicht garantieren kann auch ein reicher Staat wie die USA indes die glücklichen Umstände, die dafür notwendig sind und die im Englischen im Gegensatz zu »happiness« als »luck« bezeichnet werden – eine Differenzierung, die auch andere Sprachen kennen. Das Deutsche kennt diese Unterscheidung nicht. Wenn Peter Horton empfiehlt, sich ins Nachbarabteil zum Glück zu setzen, ist unklar, ob dort Felicitas singt, die das glückliche Leben versinnbildlicht, oder Fortuna, die der Inbegriff des glücklichen Zufalls ist – und nicht umsonst auf einer Kugel stehend dargestellt wird: Wohin sie rollt und wem sie hold ist, lässt sich nicht vorhersagen.

Fortuna ist der letzte der sieben Räume in der Dresdner Ausstellung gewidmet. Geräte wie ein Orakel-Automat von 1910 oder mathematische Formeln zeigen hier, dass der Mensch stets versucht war, das Eintreten des Glücks zu berechnen oder vorherzusagen. Fotos von Unfällen und Katastrophen belegen indes, dass ihm eine genaue Prognose nur selten gelungen ist. Glück, so deutet Meschac Gaba an, ist eine zerbrechliche Angelegenheit: Der Künstler führt durch ein Labyrinth aus Glasziegeln, in denen Geldscheine eingeschlossen sind. Die Wege sind verschlungen, eine endgültige Antwort auf die Frage nach dem Glück hält keiner bereit. Vielleicht findet sie sich erst an einem Sommertag am Strand von Dänemark.

»Glück. Welches Glück«. Bis 2. November im Deutschen Hygiene-Museum Dresden, Lingnerplatz 1 (www.dhmd.de). Geöffnet Di. bis So.10 bis 18 Uhr. Eintritt 6/3 Euro.

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