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  • Bundesparteitag der LINKEN – ein Jahr nach ihrer Gründung

Stolpersteine für Lafontaine

Debatten zum Thema Iran/Israel und zur Familienpolitik seiner Frau erwartet

  • Jürgen Elsässer
  • Lesedauer: 5 Min.
Einige Anträgen zum Cottbuser Parteitag könnten die Position von Oskar Lafontaine schwächen.
Vater, Mutter, Kind auf dem Sommerfest der Fraktion 2006
Vater, Mutter, Kind auf dem Sommerfest der Fraktion 2006

Der Parteitag der LINKEN knapp zwölf Monate nach der Fusion von PDS und WASG verspricht wenig Aufreger. Zum einen hat die Kommunistin Sahra Wagenknecht ihren Verzicht auf die Kandidatur zur stellvertretenden Vorsitzenden bekannt gegeben. Zum anderen wurde der Streit um ein milliardenschweres Investitionsprogramm dadurch gedeckelt, dass ein entsprechender Antrag zwar fallen gelassen, aber seine Substanz in den Leitantrag des Vorstandes übernommen wurde. Ersteres dürfte die Ost-Reformer gefreut haben, letzteres die West-Linken – die Machtbalance ist damit im Lot.

Israel und Iran
Neben den Mammutreferaten der Parteispitzen und den Marathonwahlen zu den Parteiämtern wird wenig Zeit für Debatten bleiben. Mit Spannung wird erwartet, ob sich trotz der vollgepackten Agenda die Kritiker Oskar Lafontaines aus der Deckung wagen. Für dessen Stärke spricht, dass entsprechende Anträge ihn nicht namentlich angreifen, sondern über die Bande spielen.

Das trifft etwa auf den Antrag G31 zu, der unter anderem von Klaus Lederer und Thomas Nord, den Landesvorsitzenden in Berlin und Brandenburg, aber auch vom WASG-Gewerkschafter Axel Troost und der NRW-Linken Ulrike Detjen unterzeichnet wurde. Darin wird die EU aufgefordert, »wirtschaftliche Beziehungen mit dem Iran von einer Verbesserung der Menschenrechtslage abhängig zu machen«. Insbesondere geht es um die Anwendung der Todesstrafe und Steinigungen. So berechtigt dieses Anliegen ist, so strittig seine Exklusivität. Warum gibt es keine Kritik an dem in vielerlei Hinsicht grausameren Regime in Saudi-Arabien?

Besondere Brisanz enthält der Antrag, weil in ihm die Streichung der iranischen Oppositionsgruppe der Volksmudschahedin von der Terrorliste der EU gefordert wird. Die Organisation wird von den Neokonservativen in den USA unterstützt und für zahlreiche Anschläge innerhalb Persiens verantwortlich gemacht. Es ist unglaubwürdig, einerseits palästinensischen Terror zu verurteilen und andererseits für das Morden einer pro-amerikanischen Organisation Absolution zu verlangen.

Der Antrag dürfte die Unterstützung des Bundesarbeitskreises (BAK) Shalom finden, in dem sich nach eigenen Angaben etwa 60 Freunde Israels in der Linkspartei zusammengefunden haben. Mitbegründer Stefan Voigt kritisierte im Vorfeld des Parteitags die von Lafontaine seit einiger Zeit geplante Reise nach Teheran. »Dies wäre de facto eine Solidarisierung mit dem Mullah-Regime, das die Bevölkerung unterdrückt, Frauen diskriminiert, Homosexuelle hinrichtet und nach der Atombombe strebt.«

Die Positionsbestimmung der LINKEN in der Nahostfrage ist erheblich in Bewegung geraten, seit Gregor Gysi Mitte April in einem Grundsatzreferat dem traditionellen Antiimperialismus und Antizionismus eine prinzipielle Absage erteilt und die Solidarität mit Israel in Anlehnun an eine Formulierung der Bundeskanzlerin zur »Staatsräson« auch für die eigene Partei erklärt hatte.

»Spiegel Online« freute sich anschließend über die »Kehrtwende« des Politikers: »So wie Gysi hat sich noch kein Politiker der Linken vor Israel verneigt. Seine Rede wird nicht ohne Widerspruch bleiben. Es ist nicht einmal klar, dass sein Zimmernachbar im Bundestag, Lafontaine, sie unterschreiben würde. Bislang war der eher als Freund Irans aufgefallen.«

Dass sich der vom »Spiegel« erwartete Widerspruch in engen Grenzen hielt, gibt den Anhängern von Gysi Rückenwind. Die Bundestagsabgeordnete Petra Pau meinte Anfang Mai auf einer Veranstaltung des BAK Shalom: »Alle Mitglieder und Akteure der LINKEN müssen sich zur Rede von Gregor Gysi verhalten.« Ob der Parteitag dieser Aufforderung folgt, wird sich zeigen.

Pro familia
Gegen Lafontaines Ehefrau Christa Müller richtet sich direkt und indirekt eine ganze Reihe von Initiativen für den Parteitag. »Nicht in unserem Namen« ist etwa der Antrag P01 überschrieben – eine Formulierung, mit der bisher die Friedensbewegung gegen die völkerrechtswidrigen Kriege in Irak oder deutsche Truppen in Afghanistan zu Felde zog. Ähnlich dramatisch geht es weiter: »Wir sind entsetzt über die familienpolitischen Äußerungen der saarländischen Links-Politikerin Christa Müller.« Während die Unterzeichner – vor allem Genossinnen und Genossen aus dem linken Landesverband NRW – es bei der Aufforderung belassen, die Gescholtene solle sich künftig »öffentlich im Sinne der familienpolitischen Forderungen der Partei« äußern, fordert der Bezirksverband Hamburg-Nord gleich ihren Rücktritt als familienpolitische Sprecherin des saarländischen Landesverbandes. Zwei weitere Papiere, unter anderem vom Parteifrauenverband LISA, machen sich für eine »emanzipatorische Familienpolitik« stark und kritisieren die Konzentration auf die häusliche Kindererziehung, wie von Christa Müller gefordert, ohne sie namentlich zu nennen.

Die Familienpolitik rangiert damit quantitativ im Cottbusser Antragsheft mit auf den vordersten Plätzen. Die vehemente Kritik an Frau Müller ist vor dem Hintergrund kurios, dass diese in den Bundesgremien der Partei keine Rolle spielt und auch an der Saar nur in der zweiten Reihe steht. Aber offensichtlich erhitzen ihre unkonventionellen Äußerungen zur Frauenrolle die Gemüter weit mehr als der Vorstoß Gysis in puncto Israel.

Der Proteststurm ist so stark, weil er aus verschiedenen Richtungen bläst: Weder die Westlinken, die 1968 und danach den Feminismus schätzen lernten, noch frühere DDR-Bürger, die die Qualität eines staatlichen Kita-Systems kennengelernt haben, können mit Frau Müllers Lob der traditionellen Familie etwas anfangen.

Andererseits zeigt die starke Unterstützung, die der geschassten Fernsehmoderatorin Eva Herman für ähnliche Positionen zuteilwurde, dass der Müllersche Ansatz in der Bevölkerung auf Resonanz hoffen darf. Die Familie gibt vielen in den Stürmen der Globalisierung wenigstens ein bißchen Halt. Wenn die LINKE an der Saar mit dieser wertkonservativen Programmatik 2009 einen Wahlerfolg erringt, wird der Pluralismus in der Gesamtpartei einem Härtetest unterzogen.

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