nd-aktuell.de / 03.06.2008 / Kultur / Seite 3

Der Rückzug soll vergoldet werden

Die Verwirrspiele um den Berliner Aufbau-Verlag

Elmar Faber
Der Aufbau-Verlag hat Insolvenz angemeldet. Offenbar will Verleger Lunkewitz dem Bücherwesen nach 17 Jahren den Rücken kehren.

Im Spätsommer 1991 erwarb Bernd F. Lunkewitz zusammen mit drei weiteren Gesellschaftern von der Treuhandanstalt den Berliner Aufbau-Verlag. Der Frankfurter Immobilienmakler, politischer Ziehsohn des bekannten Frankfurter Kulturdezernenten Hilmar Hoffmann, war der Wunschkandidat des damaligen Aufbau-Verlegers (Elmar Faber, d.R.) und seines Leitungsteams für den Privatisierungsakt. Lunkewitz verwies auf ein erkleckliches Vermögen, auf ein kritisches Gesellschaftsverständnis und auf einen erstaunlichen Witz bei der Beurteilung des Umbruchs. Er übernahm die Mehrheitsanteile eines Verlages, dessen Bedeutung im ln- und Ausland unbestritten war, dessen Programme Autorennamen aus mehr als 55 Ländern enthielten und in dem bis zur Wendezeit etwa 4500 Erstauflagen erschienen und in mehr als 125 Millionen Exemplaren verbreitet worden waren.

Der Aufbau-Verlag galt immer als »Suhrkamp des Ostens«. Er inaugurierte mit seinen Büchern den intellektuellen Diskurs oft weit über die Grenzen der engen DDR hinaus. Aufbau war der Verlag in Deutschland, der die Literaturgeschichte der Nachkriegszeit nachhaltig beeinflusst hat. Er holte wie kein zweiter die verfemten und vertriebenen Autoren zurück ins Land und mit ihnen eine große literarische und moralische Integrität, die weithin ausstrahlte.

Ein Kinderglauben

Bernd F. Lunkewitz war einen Augenblick lang stolz auf den Erwerb, ich glaube, er fühlte die historische Traglast des Vorgangs, und als er gar noch die kleine, berühmte Zeitschrift »Weltbühne« dem Verlagsvermögen hinzukaufen konnte, standen ihm die Tränen in den Augen. Er begriff sich als Nachfahr von Siegfried Jacobsohn, von Tucholsky und Ossietzky, und die Rührung, die ihn dabei erfasste, war hinreißend und unantastbar wie ein Kinderglauben.

Jedenfalls hatte alles den Anschein, dass es ernst gemeint war, das »Flaggschiff« der DDR-Verlagslandschaft in seiner historisch gewachsenen Form zu bewahren, und tatsächlich musste man die Privatisierung des Aufbau-Verlages im Verbund mit Rütten & Loening als gelungenste aller Privatisierungsgeschichten der Branche bezeichnen. Es war keine jener infamen Eine-Mark-Transaktionen, wie sie bei der Treuhand beim Verkauf von DDR-Vermögen an westdeutsche Eigner üblich waren.

Lunkewitz und seine Mitgesellschafter bezahlten inklusive ausstehender Verpflichtungen ein paar DM-Millionen, ein angemessenes Salär für einen Verlag, in dem hochkarätige Weltrechte von Autoren steckten und dessen Archiv mit Autografen, Briefwechseln, Editionsgeschichten, historischen Dokumenten u.a.m. geradezu vollgestopft war.

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Der neue Verlagseigner verstand naturgemäß nichts vom Verlagsgeschäft. Kein Unglück, lange vor ihm schon waren Leute zu berühmten Verlegern emporgestiegen, die vorher mit Kattun und Wolle, mit Gewürzen oder brasilianischem Kaffee gehandelt hatten, warum sollte ein Immobilienmakler, der erpicht auf persönliche öffentliche Belichtung war, nicht auch einmal das Glück haben, ein angesehener Verleger zu werden, zumal wenn er sich wie Lunkewitz mit Verve ins Literaturgeschäft warf? Freilich standen der Laufbahn schon am Anfang ein paar putzige Ansichten im Wege. Kurz nachdem er die »Weltbühne« erworben hatte, wollte er sie zu einem kleinen »Spiegel« des Ostens umgestalten. Bald darauf verabschiedete er sich von dem Blatt, um das er kurz vorher Tränen vergossen hatte, weil ihm eine Rechtslage nicht passte. Christa Wolf sollte dazu überredet werden, einmal einen Kriminalroman zu schreiben. Und überhaupt wollte er bei Aufbau viel mehr »Strandkorbliteratur« sesshaft machen, wie sein gedankliches Angebot an den sogenannten Mainstream lautete.

Aus Zurufen aus dem fernen Kalifornien, wo eine literaturdilletierende Gattin vergeblich um schauspielerische Anerkennung rang, bezog er schillernde Vermutungen, womit man das Verlagsprogramm bereichern konnte. Aperçus, gewiss, aber doch Blitzlichter auf eine Spontanität des Denkens, die vormals vielleicht bei der »Roten Garde in Bockenheim« angebracht war, bei der er während seiner Studententage eine linke Vergangenheit zu erwerben geglaubt hatte, die mit Marx-Zitaten aufgefüllt war, aber des Wichtigsten entbehrte: der Dialektik. Und so waren dies alles Anzeichen, dass der Kapitän, der das Verlagsschiff bestiegen hatte, die gute Fracht, die er an Bord führte, vielleicht durch schwere Gewässer doch nicht steuern konnte. Statt sich auf die Navigation seiner Offiziere und die Gesetze der Windbewegung zu verlassen, die durch die Literaturwelt wehen, ließ er sich auf unsinnige Scharmützel ein, um anderen listenreich Schätze abzujagen, die er nicht verdient hatte.

So hatte beispielsweise bei der Privatisierung des Verlages der Justiziar der Treuhand vergessen, die Immobilie des Aufbau-Verlags, die man zuvor freilich unrechtmäßig für das Bundesvermögen enteignet hatte, in angeordneter Frist ins Grundbuch eintragen zu lassen. Als die Treuhand ins Katasteramt kam und das nachholen wollte, war die Immobilie verkauft, und zwar von Lunkewitz an eine Lunkewitz-Firmentochter. Der Rückkauf brachte ihm, wenn ich mich recht erinnere, neun Millionen Mark ein, beträchtlich mehr als das Doppelte, was er für den Einkauf des Verlages ausgegeben hatte.

Lunkewitz war ein Spieler, man sah es, ein geschickter Jongleur. Zuweilen konnte man ihn bewundern, wie er seine Rochaden ausführte. 1994 kaufte er den Kiepenheuer-Verlag Leipzig der Aufbau-Verlagsgruppe zu. In einer Nacht- und Nebel-Aktion hatte die Treuhand die Management-Buy-out-Konstruktion von Kiepenheuer-Verlagskollegen abrupt beendet, weil sie etwas aus dem Verlagsarchiv verkauft hatten, um die Gehälter und Kreditzinsen zu bezahlen, die ihnen für einen stattlichen Einkaufspreis entstanden waren. Lunkewitz erwarb Kiepenheuer dagegen für eine Mark und kassierte dazu (nach meinen Aufzeichnungen) noch eine Anschubfinanzierung von drei Millionen Mark.

Ich rufe diese Erinnerungen an eine turbulente Zeit zurück, um das über Jahre hinweg fortgesetzte und zweckgerichtete öffentliche Geschrei des Aufbau-Verlegers Lunkewitz über die Millionen, die er in den Verlag hineingesteckt hätte, ein wenig zu konterkarieren. Wie man sieht, hat er ja auch auf obskuren Wegen etwas locker gemacht, und wenn er etwas investiert hat, ist es dem gewieften Taktiker und Strategen bestimmt geglückt, dies über Steuererklärungen seiner Immobilienfirmen wieder zu kompensieren.

Viel Feind, viel Ehr

Es gehört ohnehin nicht mehr zu den Gewohnheiten unserer Kapitalistenklasse, sich auf die bürgerlichen Tugenden vorangegangener Jahrhunderte zu besinnen, wenn es um Moral, Aufrichtigkeit, Wahrhaftigkeit, Eigensinn, Mut und Ausdauer geht – und schon gar nicht will man, wenn man in Not kommt, durch Fehlurteile oder durch die Schleudergesetze des Marktes, mit dem eigenen Vermögen dafür einstehen. Immer soll das Geld von anderen dafür herhalten, um Geltungssucht zu honorieren, die eigenen Irrtümer zu bezahlen und die ständige Verarmungsangst, wie Lunkewitz es ausdrückt, von den Millionenvermögen fernzuhalten. In diese Bewegungsspiele sind beispielsweise die Turbulenzen rund um den Börsengang des Frankfurter Eichborn-Verlags ebenso einzuordnen wie die irritierenden, seit Jahren schwelenden Vorgänge um den Berliner Aufbau- Verlag.

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Bernd F. Lunkewitz hat einen Wahlspruch. Dieser lautet: Viel Feind, viel Ehr. Wenn er keine Feinde hat, sucht oder erfindet er sich welche. Reibereien gehören zu seinem Lebenselixier, vielleicht eine Hypothek, die ihm die wilden 60er Jahre in Frankfurt aufgeladen haben, die schließlich in einem für ihn bezeichnenden Befreiungsschlag endeten, der ersten Million, die er sich bei einem Immobiliengeschäft in die eigene Tasche mogelte.

Viel Feind, viel Ehr, über diesen Wahlspruch erkor sich Lunkewitz ab 1991 als Lieblingsfeind die Treuhand und ihre Nachfolgeorganisationen, jenes trojanische Pferd der Wendezeit, das die Ungerechtigkeiten des gesellschaftlichen Umbruchs nur so aus seinem hohlen Bauch spuckte, dass man Lunkewitz gern in seinem Zorn folgen möchte, wenn dieser nicht diese obskuren Wege ging.

Lunkewitz hat sich bis zum Bundesgerichtshof hochgeklagt, um zu beweisen, dass ihm die Treuhand den Aufbau-Verlag unrechtmäßig verkauft habe, weil dieser nicht Volkseigentum, sondern Eigentum des Kulturbundes der DDR gewesen sei, über das sie nicht verfügungsberechtigt war. Und das hohe Gericht hat dieser Rechtauffassung nach siebzehnjährigen Streitereien zugestimmt. Ein richterliches Urteil, das den wirren Zuständen ostdeutscher Eigentumsauffassungen und -verhältnisse nachträglich Halt zu geben versucht, das aber wohl am Tatbestand nichts ändern kann, dass Lunkewitz der Aufbau-Verlag gehört (denn wer macht ihm diesen eigentlich streitig?) und dass er ihn bald zwei Jahrzehnte lang verwaltet, seine Autoren gepflegt, seine Rechte vermehrt und verkauft hat.

Wenn der Verlag nicht wirtschaftlich genug arbeiten sollte, so kann dies der Verleger doch nicht fortgesetzt der Treuhand in die Schuhe schieben, weil sich gegebenenfalls ein Rechtsfehler in dessen private Konstituierung im Jahre 1991 eingeschlichen hat. Man kann doch einer Amme beim besten Willen auch nicht lebenslang einen Vorwurf darob machen, dass man Bettnässer geworden ist.

Bernd F. Lunkewitz hat ein Problem, das er in Rechtskriegen zu verstecken sucht. Er will aus dem Verlag, den er jahrelang mit selbst gewollten Rechtsstreiten versorgt hat, so dass man annehmen musste, diese Geplänkel seien sein regelrechtes Hobby (und für seine Anwälte ein ziemlich ertragreiches) möglichst unbefleckt aussteigen.

2008 glaubt er, mit dem Urteil des Bundesgerichtshofs im Rücken, die Tür für dieses Manöver aufgestoßen zu haben. Aber der Rückzug soll ihm vergoldet werden, meint er, wie es ja in Wirtschaftskreisen in Mode gekommen ist, und dies verlangt er nun mit einer Forderung von rund 50 Millionen Euro an das Bundesfinanzministerium, das er in der Nachfolge der verblichenen Treuhandanstalt sieht. Wenn der Bund diesem Erpressungsversuch widersteht, wird der Verlag in die Insolvenz geführt.

Hier spielt sich etwas im Kleinen ab, was die Wirtschaftsbosse in den großen Konzernen täglich vormachen, jenes fatale Entweder-oder – entweder Staat, du spickst mich, oder ich werde die Arbeitsplätze sausen lassen. Man ist entsetzt, wie weit die Sitten schon verdorben sind, und deshalb ist es sicher nicht ungewöhnlich, dass ich als praktizierender Verleger und als ehemaliger Chef des Berliner Aufbau-Verlages einem Kollegen in diesem eigenartigen Verwirrspiel nicht die Stange halte. Zu viel wird mit diesen verrückten Eskapaden von den noblen Konfessionen unseres Berufsstandes aufs Spiel gesetzt, als dass man schweigend zusehen könnte.

Quo vadis, Aufbau-Verlag? Ich drücke die Daumen für ein erfolgreiches 21. Jahrhundert.


Verlagsverrat - Geschäftsführer vs. Verleger

Der Geschäftsführer des Berliner Aufbau-Verlages, René Strien, hat seinem Verleger Bernd F. Lunkewitz vorgeworfen, mit der von ihm erzwungenen Insolvenz seinen Verlag und seine eigenen Werte verraten zu haben. Offenbar sei ihm auch das Schicksal seiner Mitarbeiter »egal«. In einem in der »Süddeutschen Zeitung« von gestern erschienenen Offenen Brief wird Lunkewitz vorgeworfen, er habe sich »bei Nacht und Nebel aus dem Verlag geschlichen«. Der Aufbau-Verlag sei jedoch »nicht bloß ein privates Spekulationsobjekt«, sondern »ein fragiles, faszinierendes und einmaliges Gebilde«, das »tief im Bewusstsein der Öffentlichkeit verankert ist«.

Die beiden Geschäftsführer des Verlages, René Strien und Tom Erben, hatten am vergangenen Freitag auf Veranlassung des Verlegers gegen ihren Willen beim Amtsgericht Berlin-Charlottenburg Insolvenz für den einstmals bedeutendsten Verlag der DDR anmelden müssen. Hintergrund ist ein jahrelanger Rechtsstreit des Verlegers mit der früheren Treuhandanstalt um die wirklichen Eigentumsverhältnisse beim Verkauf des Verlages nach dem Ende der DDR.

Lunkewitz betonte, er habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. Er wirft dem Bundesfinanzministerium als Rechtsaufsicht der abgewickelten Treuhand vor, sich seiner Verantwortung zu entziehen.

Nach Angaben des Insolvenzverwalters Joachim Voigt-Saulus auf einer Pressekonferenz am gestrigen Montag soll der Geschäftsbetrieb des Aufbau-Verlags dennoch aufrechterhalten werden. dpa/ND

Abbildungen:
Elmar Faber (links; ND-Fotos: Burkhard Lange) war bis 1991 Chef des Aufbau– Verlags. Er leitet heute in Leipzig den Verlag »Faber & Faber«. Bernd F. Lunkewitz (rechts; Foto: dpa) hat als bisheriger Gesellschafter des Aufbau-Verlags am Freitag überraschend durch seine Geschäftsführer Insolvenz anmelden lassen. Jetzt mehren sich die Erklärungsversuche – und die Kritik an Lunkewitz.