Von Kopf- und Bauchnoten

Auch Mecklenburg-Vorpommern will Schülerpersönlichkeit wieder benoten

  • Velten Schäfer, Schwerin
  • Lesedauer: 2 Min.
Ab Herbst werden Schüler im Nordosten wieder persönlich benotet – doch die Kriterien für die Vergabe dieser »Kopfnoten« seien völlig unklar, monieren die Oppositionsparteien. Sie fürchten Ratlosigkeit und Willkür in den Lehrerkollegien.

Für Annett Lindner ist der Vorgang völlig unverständlich. »Die Wiedereinführung von Kopfnoten ist reine konservative Symbolpolitik und pädagogisch mehr als fragwürdig«, sagt die Landesvorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW. »Fortschrittliche Bildungsländer in Skandinavien diskutieren über die gänzliche Abschaffung von Schulnoten, und wir schaffen uns neue Benotungskategorien«, klagt die Vertreterin der Lehrer im Nordosten. Landesschüler- und Landeselternrat verurteilen die Rückkehr zu den Verhaltensnoten ebenfalls in einer gemeinsamen Erklärung mit der Lehrergewerkschaft, die von einer »populistischen Maßnahme« spricht und stattdessen für eine »differenzierte Beurteilung in Berichtsform« plädiert.

Die Landtags-Opposition aus Linkspartei und FDP ist sich in dieser Frage ausnahmsweise weitgehend einig. Gemeinsam setzten sie vor zehn Tagen eine Landtagsanhörung durch, um die »Verordnung zur Beurteilung und Bewertung des Arbeits- und des Sozialverhaltens an den allgemeinbildenden Schulen in M-V« nochmal unter die Lupe zu nehmen.

Doch die Anhörung half so wenig wie der Versuch, die Verordnung im Landtag zu stoppen. Ab dem Schuljahr 2008/2009, so wollte es der rot-schwarze Schweriner Koalitionsvertrag, werden an den allgemeinbildenden Schulen in Mecklenburg-Vorpommern bis zur zehnten Klasse Noten in den Kategorien »Anstrengungsbereitschaft«, »Mitarbeit«, »Zuverlässigkeit« und »Selbstständigkeit« vergeben. Den Lehrern stehen nach der Verordnung von Bildungsminister Henry Tesch (CDU) zur Bewertung vier Kategorien von »vorbildlich« bis »entwicklungsbedürftig« zur Verfügung. Die Wirtschaft, so Wirtschaftsminister Jürgen Seidel (CDU), brauche solche Informationen etwa bei der Suche nach geeigneten Auszubildenden.

Die Kopfnotengegner kritisieren im Detail, dass die Verordnung keine verlässlichen, landesweit gültige Kriterien zur Vergabe der Verhaltensnoten anbietet. Gewerkschafterin Lindner befürchtet, die Kopfnoten könnten deswegen schnell zu »Bauchnoten« mutieren. Schülervertreter sprechen gar von »Schleimnoten«.

Im Schulsystem der DDR unterschied man ebenfalls vier Kopfnoten-Kategorien: Ordnung, Mitarbeit, Fleiß und Betragen. Daraus wurde bis Ende der 1970er Jahre noch eine Gesamtverhaltensnote abgeleitet. Im Westen verschwanden die Kopfnoten in den späten 1960er und 1970er Jahren aus den Zeugnissen – nur in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und an der Saar hielten sie sich.

In den letzten Jahren geht der Trend zurück zur – multiplen – Kopfnote. Für das Jahr 2005/2006 führte Bayern Kopfnoten für die dritte und vierte Grundschulklasse ein, in denen nach dortigem System über den weiteren Bildungsweg eines Kindes entschieden wird. Seit 2007/2008 gibt es auch in Nordrhein-Westfalen wieder Kopfnoten. Hier gibt es sogar sechs Bewertungskategorien.

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