Gewehre zu Krücken

Theater gegen den Krieg: RambaZamba-Premiere in Berlin

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.
Provokation nicht nur auf der Bühne
Provokation nicht nur auf der Bühne

Der Krieg, er wird fernab geführt. Zwar stehen Bundeswehrtruppen in Afghanistan, doch rückt dieser Krieg nur in Form von Zinksärgen nach Anschlägen sekundenlang ins Blickfeld. Der Krieg in Irak kann als ein US-amerikanisches Problem auf Distanz gehalten werden. Und wenn die bundesdeutsche Diplomatie im Spannungsfeld Nahost agiert, wird hin und wieder von einem geglückten Coup berichtet, die Hände, die sich dabei so mancher Beamter schmutzig machen musste, werden jedoch unterschlagen.

Aufgrund dieser medialen Sedierung muss man den Versuch der Theatergruppe RambaZamba, über die Deutschen und den Krieg zu reflektieren, als Gegengift auf alle Fälle schätzen. In »Ich freue mich …« spüren die von Klaus Erforth angeleiteten behinderten Schauspieler mit Liedtexten von Brecht, aber auch zeitgenössischen Hits der hiesigen Kriegsmentalität vor knapp 70 Jahren nach. Das Kalibani-Ensemble, eine Abspaltung der bewährten RambaZamba-Combo, stürzt sich mit Verve und Mut, Vitalität und Schläue in das Unternehmen. Und es zaubert so manche Gänsehaut auf den Rücken der Zuschauer.

Am Anfang etwa, als die knapp zwei Dutzend Darsteller in kriegsversehrte Lumpen gehüllt »Ich freue mich, dass ich Geburtstag habe …« anstimmen. Bei manchen der behinderten Künstler dreht sich die Freude über den Geburtstag in ein Staunen, noch am Leben zu sein, auch diesen Tag noch genießen zu dürfen und nicht der zu NS-Zeiten praktizierten Euthanasie zum Opfer gefallen zu sein.

Einen Schreck löst das kurze Solo von Mischa Schnabel aus. Der kleine, zähe, faltige Mann wünscht sich zurück in Mutters Bauch, um da abgetrieben zu werden. Schnabel übernimmt im Stück die Rolle Hitlers. Damit ist ein großer Bogen angelegt, vom Euthanasie-Opfer über die breite deutsche Bevölkerungsmasse bis zum Supertäter Hitler tummelt sich alles auf der Bühne. Es wird gesungen und marschiert, Krücken werden zu Schießgewehren und erneut zu Krücken. Der Furor gegen Außenseiter wird am Hängen eines Transvestiten demonstriert. Am eindrücklichsten gelingen die Lieder zur Befindlichkeit der Zivilbevölkerung. Bei »In den Graben« wird die Bestimmung des Vaters ausgemalt. »Was bekam des Soldaten Weib« illustriert die kleine Kriegsgewinnlerfreude der Soldatenbräute: Ein Seidenkleid aus Paris wird den neidischen Nachbarinnen präsentiert, später ein Pelzkragen aus Oslo umgelegt. Doch auf den Hut aus Rotterdam folgt der Witwenschleier aus Russland.

Die RambaZamba-Truppe weist damit auf die »Kollateralschäden« des Krieges hin, jene Gewalt, Bestialität, Verzweiflung und Trauer, die in den Reden von Präzisionsschlägen und Demokratisierungsabsichten stets ausgespart sind. Sie spiegelt sich aber auch in der Begeisterung, der jubelnden Vorteilsnahme, wider, die ein Unternehmen wie den Krieg begleiten. Damit »trauen« sich die behinderten Schauspieler etwas, was die meisten ihrer gewöhnlichen Kollegen nicht wagen würden, was dort womöglich auch peinlich wirkte; hier kommt die rohe, in Büchern schwer vermittelbare Freude und gewöhnlich verschämt verdrängte am befohlenen Zerstören jedoch exemplarisch zum Ausdruck.

Doch leider hat sich der Regisseur Klaus Erforth in der Dosierung seines Gegengiftes gegen die schläfrige Hinnahme des Krieges vertan. Zu grobschlächtig ist die Szenerie angelegt. Zu plump wird all das Böse ausgemalt. Es fehlen Ruhemomente, in denen sich die Kraft einzelner Lieder, einzelner Spielszenen ausbreiten könnte. Und es fehlt an dem notwendigen Anlass, warum dieses Stück ausgerechnet jetzt, ausgerechnet in dieser Form präsentiert wird.

Im Pressetext bezieht sich Erforth auf Brechts »Furcht und Elend des Dritten Reiches«, auf die Unfertigkeit dieser Brechtschen Zeitgroteske, die Helene Weigel schon beklagt hatte. Doch sollte man sich von seinen Vorbildern nicht unbedingt die Schwächen aussuchen. »Ich freue mich …« ist ein gestalteter Liederabend mit viel Potenzial. Doch dieses Potenzial möchte man nicht nur ahnen, sondern auch erleben. Und das gerade, weil die Darsteller so besonders, so einmalig sind.

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