Opportunistische Lichtgestalt

40 Jahre nach seiner Ermordung wird Robert F. Kennedy so verehrt wie verklärt

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: 4 Min.

»Trotz der Ablehnung, die er weckt, besitzt Kennedy unerklärliche und unschätzbare Vorteile: Kennedy ist immer noch Kennedy. Er hat die Gabe, die Vergangenheit besser ausschauen zu lassen, als sie jemals war, und die Zukunft heller, als sie vermutlich je sein kann. Er ist schlank und sehnig, was in einer Körper bewussten Gesellschaft gut ankommt. Er ist dynamisch, und er ist auf sexuell attraktive Weise männlich.« Die Zeilen stammen aus einer Titelgeschichte des US-Nachrichtenmagazins »Time«. Sie erschien am 24. Mai 1968, keine 14 Tage vor der Ermordung Robert Francis Kennedys im Hotel »Ambassador« von Los Angeles (Foto: Archiv). In der Nacht vom 4. auf den 5. Juni wurde dort der jüngere Bruder des 1963 ermordeten Präsidenten John F. Kennedy (geb. 1917) von dem palästinensischen Einwanderer Sirhan Bishara Sirhan in der Kaltküche niedergeschossen. Tags darauf, am 6. Juni, erlag das Opfer seinen Verletzungen.

Robert (»Bobby«) F. Kennedy, geboren am 20. November 1925 als siebtes von neun Geschwistern, befand sich kurz vor dem Attentat auf dem Weg zur Pressekonferenz, nachdem er zuvor die letzte der Vorwahlen für die Nominierung des Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Partei gewonnen hatte. Seine Chancen, die Nominierung gegen den damaligen Vizepräsidenten Humphrey unter Präsident Lyndon B. Johnson (LBJ) bzw. gegen Mitbewerber Eugene McCarthy zu gewinnen, waren nicht schlecht.

»Bobby« Kennedys Eintreten für Gleichberechtigung der Rassen in seinen letzten Lebensjahren, gegen den Vietnamkrieg und für die Einbeziehung der Vietkong in eine Friedensregelung, für bessere Wohnungs- und Wohlfahrtsmaßnahmen in den USA verklärte sich mit seinem tragischen Tod keine fünf Jahre nach der Ermordung seines Bruders und nur zwei Monate nach dem Mord an Martin Luther King bald zu einer Art Ende des »amerikanischen Traumes«, zum Ende der Leichtigkeit (»swinging Sixties«) sowie Aufbruchstimmung der 60er Jahre und führte zur Heiligsprechung seiner Person und Rolle, die sich in den USA bis heute hält. Sachlich ist sie ebenso unbegründet wie die Verklärung JFKs zur Heilsfigur ohne Verfallsdatum.

Robert ist wie sein Präsidenten-Bruder ein zutiefst widersprüchlicher Politiker gewesen, der sich erst in seinen späten Kapiteln auf liberale, realistische Positionen begab, ohne dass für die Motive auch im Rückblick ein opportunistischer Antrieb ganz ausgeschlossen werden könnte. Bereits als 26-Jähriger leitete RFK 1952 den Senats-Wahlkampf seines Bruders. Gleiches galt für den Präsidentenwahlkampf 1960. Dazwischen, 1953, war der ausgebildete Jurist ein halbes Jahr Mitarbeiter des berüchtigten, schließlich selbst in den USA umstrittenen Senats-Unterausschusses zur Untersuchung »unamerikanischer Aktivitäten« unter Joe McCarthy. Diese Tätigkeit quittierte Robert, als der bis heute salonfähige Antikommunismus in eine Hexenjagd glitt.

Nach John F. Kennedys Einzug ins Weiße Haus war der kleine Bruder direkt in die Schweinebucht-Invasion gegen die Volksrepublik Kuba einbezogen. Biograf Ronald Steel (»In Love with Night – The American Romance with Robert Kennedy«) zufolge war es Bobby, »der die Mafia verfolgte, die C.I.A. dazu anstiftete, sich Castros zu entledigen, der von seines Bruders Verbindungen zu eben jenem Mafia-Paten wusste, den die C.I.A. angeheuert hatte, um den kubanischen Führer zu töten«. Für Steel war Kennedy Opportunist in Person – »ein Anwalt der schwarzen Emanzipation, der es dem FBI erlaubt, Martin Luther King zu quälen, ein später Kritiker des Vietnamkriegs, der von den USA gesponserte Mordkommandos in der dritten Welt organisierte«.

Beispiele wie diese lassen sich verlängern, auch wenn man sagen muss, dass Steel zu einem der kritischeren Biografen der kontroversen Lichtgestalt gehört. Ähnlich wie noch immer über die Hintergründe des Attentats von Los Angeles, wird über die Beweggründe für Robert Kennedys Sinnes- und Haltungswandel in den letzten Jahren vor seinem Tod gerätselt. Steel bezweifelt, dass es allein Trauer über den Mord an John F. Kennedy war. Vielmehr hätten tiefe Schuldgefühle über eine Mitverantwortung am Tod des großen Bruders zum Wandel zu einem liberalen, sozial engagierten, Rassendiskriminierung und Vietnamkrieg entschlossener kritisierenden Robert F. Kennedy beigetragen.

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