Der tägliche Kampf ums Maismehl

In Kenia ist die Hungerkrise Alltag – Immer mehr können sich Nahrungsmittel nicht mehr leisten

  • Marc Engelhardt, Nairobi
  • Lesedauer: 4 Min.
Was global »neue Hungerkrise« genannt wird, ist für Kenianer vor allem in den Slums schlicht der Alltag. Die Kosten für das Wenige, was sie konsumieren, steigen ständig – ohne dass die Kleinbauern, die das Gros der Waren liefern, davon profitieren.

Aska Karubo Ubare steht zwischen den vollgestopften Regalen, die sich um sie herum auftürmen. »Ich war noch nie in einem Supermarkt«, erklärt die 42-jährige Mutter. »Hier gibt es so viel, und alles in riesigen Mengen.« Dass Ubare heute bei Nakumatt Mega, einem der größten Shoppingzentren Kenias, einkaufen kann, hat sie CARE zu verdanken. Nach den Unruhen Anfang des Jahres hat die Hilfsorganisation 6000 Einkaufsschecks zu je eintausend Schilling – etwa zehn Euro – für die bedürftigsten Bewohner von Kibera, dem größten Slum in der Hauptstadt Nairobi, gestiftet. Ubares Schneiderei wurde im Januar angezündet und brannte aus. Jetzt hält die ehemalige Unternehmerin sich, ihre drei Kinder und zwei Waisen nur noch mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser.

Aska Karubo Ubare ist ein Gesicht des Phänomens, das derzeit als »Neue Hungerkrise« Schlagzeilen macht. Zwar gibt es genug Lebensmittel, doch vor allem in den Städten, wo mittlerweile jeder zweite Afrikaner lebt, können immer weniger Leute sie sich noch leisten. Ihr Maismehl kauft sie normalerweise auf dem lokalen Markt. Für die 15 oder 20 Schillinge, die sie meist hat, bekommt sie nicht mehr als 200 Gramm. Bei Nakumatt würde sie zwar für die zehnfache Menge nur 76 Schillinge (umgerechnet 80 Euro-Cent) bezahlen. Aber 76 Schillinge hat Ubare fast nie. Das wissen die lokalen Händler, die mit dem portionsweisen Verkauf an die Ärmsten ordentlich Gewinn einfahren.

Wenn des einen Leid des anderen Freud ist, dann müsste Charles Nganga Kamau von morgens bis abends feiern. Sein Mais streckt sich zwei Monate nach der Saat schon stolz in die Höhe. »Diese Regenzeit ist gut, es ist nicht so trocken wie im vergangenen Jahr«, strahlt der 60-Jährige. Zehn Sack Mais, den Sack zu 90 Kilo, erhofft sich Kamau von der Ernte, wenn der Regen weiter fällt. Einen hal-ben Hektar misst sein Hof, auf der Hälfte baut er Mais an. Zehn Sack, das wäre für Kamau eine Rekordernte. Doch von plötzlichem Reichtum angesichts der steigenden Maismehlpreise in der Stadt kann er nicht berichten. »Auf dem Markt von Wangige, wo ich meinen Mais verkaufe, bekomme ich für zwei Kilo 50 Schillinge, genauso viel wie vor einem Jahr.« Wer in großen Mengen verkauft, bekommt für die gleiche Menge kaum mehr als 40 Schillinge: Das ist der Abnahmepreis, den Kenias staatliche Regulierungsbehörde derzeit empfiehlt. Auf dem Land, weit entfernt von den Märkten, ist sie oft der einzige Käufer. Die Zwischenhändler, sagt Kamau, profitieren derzeit mehr als die Bauern. Viele Bauern horten deshalb ihre letzte Ernte, weil sie auf einen höheren Preis spekulieren. Das ist riskant, denn in den einfachen Lagerstätten zerstören immer wieder Pilzbefall oder Ratten die Ernte.

Doch auch die Bauern spüren die Preiserhöhung. Weil der Dieselpreis so stark gestiegen ist, zahlt Kamau fürs Mahlen seiner Ernte mehr als das Doppelte. Und die wenigen Verbrauchsgüter, die er nicht selbst anbaut, kosten fast wöchentlich mehr. »Zucker, Sonnenblumenöl und Gas machen mich fast zu einem armen Mann.«

Wann also werden die Landwirte von den gestiegenen Preisen für Lebensmittel profitieren? Bald, glaubt Romano Kiome, Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium. »Eine Krise ist immer auch eine Chance: Wenn die Farmer jetzt ihre Produktivität erhöhen, können sie bei der nächsten Ernte mehr Geld machen als je zuvor.« Kiome und seine Beamten müssen sich damit herumschlagen, dass in der Gewalt nach den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen Ende letzten Jahres mehr als dreieinhalb Millionen Sack Mais vernichtet wurden – und so viele Felder verwüstet, dass der prognostizierte Ernteertrag selbst bei idealen Bedingungen um mindestens ein Sechstel fallen wird.

In Kibera, Heim von einer Million Slumbewohnern, treibt die Angst vor weiteren Preiserhöhungen vielen Menschen Schweißperlen auf die Stirn. Samuel Oninga arbeitet für eine Slum-Selbsthilfegruppe namens Haki, Suaheli für Gerechtigkeit. »Ich gehe von Haus zu Haus, und überall höre ich die gleichen Geschichten: Kaum einer kann sich noch sein Essen leisten.« Wenn der Maispreis im Herbst steigt, wird die Situation in Kibera noch schlimmer werden, glaubt er. Seine Haki-Gruppe versucht, durch Kleinkredite und Kurzlehrgänge die Zahl der Zwischenhändler zu erhöhen. »Die wachsende Konkurrenz soll die Verkaufspreise senken, und die Gewinne sollen in mehr Taschen landen als heute.« Doch kurzfristig wird das nicht helfen. Viele hoffen deshalb, dass die Regierung im Herbst den Verkaufspreis für Maismehl niedrig halten wird, sei es durch Subventionen oder die Beeinflussung des Marktes durch die staatliche Maisreserve. Anders, so befürchtet Oninga, wird sich in Kibera bald niemand mehr sein tägliches Maismehl leisten können. Doch Subventionen selbst für die Ärmsten lehnt Kenias Regierung bislang ab.

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