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Ein Milliarden-Kick

Der ND-Sportredakteur berichtet in den nächsten Wochen von der Fußball-EM aus der Schweiz und Österreich

Kolumne: Ein Milliarden-Kick

Ab heute Abend wird gezählt: Wenn um 18 Uhr im Baseler St.-Jakob-Park der Anpfiff zum Spiel Schweiz gegen Tschechien ertönt, gibt’s nichts mehr zu spekulieren, zu tippen oder zu prophezeien. 31 mal 90 Minuten, das ein oder andere Mal auch ein Weilchen länger, wird handfester Fußballsport die Millionen in ihren Bann ziehen. Es zählen nur noch Tore bei diesem gigantischen Sportspektakel, das die beiden Gastgeberländer in einen kaum noch hinterfragten Ausnahmezustand versetzt. Wirtschaft, Politik, Kunst – keiner will im Abseits stehen, wenn sich Österreich und die Schweiz für drei Wochen als der Nabel des Kontinents fühlen dürfen.

Aus allen Teilen Europas rücken die Fans in die ausgeschmückten Innenstädte an, Armee und Polizei sind gut aufgestellt und bewachen gut gelaunt und zu Zehntausenden das Geschehen rund um die Multifunktions-Arenen und Public-Viewing-Zonen, Österreich setzt gar das Schengener Abkommen außer Kraft, um mögliche Störenfriede gleich an der Grenze abzufangen.

Zehn Millionen Menschen hatten sich bei der Verlosung um EM-Karten beworben, nur ein Zehntel von ihnen wird dabei sein. In TV-Zuschauern gerechnet, sind sogar mehr Menschen bei den Spielen dabei, als der Planet Bewohner hat: Acht Milliarden insgesamt, so verkünden es die Veranstalter stolz. Die vom europäischen Fußballverband UEFA eigens gegründete Veranstaltungsgesellschaft »EURO 2008 SA« rechnet mit Einnahmen von 1,3 Milliarden Euro – gegenüber der EURO 2004 in Portugal fast eine Verdopplung.

600 Million Euro Gewinn könnten für die UEFA bei diesen kontinentalen Titelkämpfen herausspringen, deren sportlicher Wert seit ihre Gründung vor fast einem halben Jahrhundert unaufhaltsam gestiegen ist. So mancher Fußballprofi behauptet mittlerweile, hier sei schwerer ins Finale zu gelangen als bei einer Weltmeisterschaft.

Das EM-Turnier, das 1960 als Europapokal der Nationen mit nur 17 gemeldeten Mannschaften begann (die DDR war bei der Erstausgabe dabei – dank der geringen Teilnehmerzahl sogar gleich im Achtelfinale, die BRD trat erst 1968 erstmals an), ist zur Erfolgsgeschichte geworden. Allerdings wird der beste Fußball schon längst nicht mehr von den Nationalmannschaften gespielt, sondern von den millionenschweren Champions-League-Klubs. Dort können sich die Spitzentrainer ihre Traummannschaften nach dem Baukastenprinzip zusammenbasteln. Weswegen bei der Endrunde der EURO 2008 womöglich jenes extrem hohe Tempo, jene unglaublichen Ballsicherheit, die beispielsweise Chelsea London und Manchester United im Endspiel der Königsklasse zeigten, gar nicht zu sehen sein werden.

Die Fußballzuschauer schert das am Ende kaum. Wenn sich ab heute in den Stadien wieder diese modernen Dramen der Wettbewerbsgesellschaft abspielen, mit Siegern und Verlierern, mit Geniestreichen und Abwehraussetzern, mit Lattenknallern und Fallrückziehern, dann werden sich auch die zurückhaltendste Zeitgenossen wieder ungewohnte patriotische Aufwallungen an sich erleben.

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