Antidepressiva für alle
TK-Gesundheitsreport 2008: Schwerpunkt psychische Erkrankungen
Immer mehr Bundesbürger werden als krank eigestuft. Ein Hinweis darauf gibt die Tatsache, dass bei Männern zwischen 60 und 64 Jahren jeder zweite Herz-Kreislauf-Medikamente verordnet bekommt, wie Thomas Grobe vom Hannoverschen Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitssystemforschung (ISEG) am Mittwoch in Berlin bemerkte.
Bei jeder dritten Frau und fast jedem sechsten Mann stellten Mediziner zudem psychische Störungen fest. Erneut stiegen hier die Fehlzeiten: Von durchschnittlich elf Tagen, die jeder TK-Versicherte 2007 krank geschrieben war, entfielen mehr als 10 Prozent auf »Psychische und Verhaltensstörungen«. Bei rund 2,5 Millionen TK-Mitgliedern können die erhobenen Daten als repräsentativ gelten. Und diese Erkrankungen treten offenbar häufiger auf als Krankschreibungen oder Rezepte bislang belegten, sagte der stellvertretende TK-Vorstand Christoph Straub. Darauf deuten Daten aus dem ambulanten Bereich hin, die erstmals in den TK-Report einbezogen wurden und sich daher auf 2006 beziehen. Hohe gesundheitliche Belastungen gebe es aber auch dann, so Straub, wenn es nicht zu Fehlzeiten komme. Die meisten Diagnosen wurden für Depressionen, Belastungs- und somatoforme Störungen gestellt.
Ein weiterer Befund des Reports: Der Arzneimittelverbrauch der Geschlechter glich sich insgesamt an. Während im Jahr 2000 dieses Volumen bei den Frauen noch 50 Prozent über dem der Männer lag, haben sich die Zahlen, nach einem Einbruch 2004 mit dem Ende der zuzahlungsfreien Medikamente, inzwischen angenähert. Rein statistisch bekam jeder Beschäftigte im letzten Jahr Antidepressiva für eine Woche verordnet. Ebenso überraschte die regionale Verteilung bei den Verschreibungen von Antidepressiva – sie werden in den neuen Bundesländern durchweg weniger verschrieben als in den alten Ländern. Auch die depressionsbedingten Fehlzeiten liegen im Osten niedriger als im Westen.
Hinweise auf eine sehr unterschiedliche Versorgungslage gibt das Auseinanderklaffen von einerseits hohen Fehlzeiten wegen Depressionen in den Stadtstaaten Hamburg, Berlin und Bremen und andererseits verhältnismäßig wenigen Verschreibungen von Antidepressiva-Medikamenten. Als möglichen Grund hierfür nennt die TK die vielfältigeren Therapie-Angebote in den Ballungsräumen. Veränderungswürdig erscheint der Krankenkasse die Tatsache, dass psychoanalytische Therapien eher im Süden der Republik im Angebot seien und auch wahrgenommen würden, während sie beispielsweise im Dortmunder Raum faktisch kaum vorkämen.
Die Krankenkasse ist jedoch erst am Anfang ihrer Auseinandersetzung mit den Report-Zahlen. Überdies wolle man sich mit Schuldzuweisungen erst einmal zurückhalten. Nur ganz am Rande bemerkte Christoph Straub, dass sich die Forschung in jüngster Zeit immer häufiger auf den Einfluss von Faktoren der Lebensweise auf die Gesundheit verlagere, also auf die Sport- und Präventionsmedizin. Es zeichne sich ab, dass Veränderungen im Lebensstil ähnlich wirksam sind wie gute Pillen. Leider würden Konsequenzen daraus vom Gesundheitssystem behindert.
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