Sozialarbeit durch Bewegung

Freie Choreografen fördern mit Tanzunterricht kollektive Prozesse an Schulen

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.

Es gibt sie, die Erfolgsgeschichten in Berlin. Das TanzZeit-Projekt ist unbedingt eines davon. Die von der gebürtigen Italienerin und ehemaligen Folkwang-Tänzerin Livia Patrizi begründete Initiative hat nach drei Jahren Laufzeit den zeitgenössischen Tanz als Unterrichtsfach an Berliner Schulen etabliert.

An insgesamt 257 Schulklassen in 71 Schulen haben 65 sonst meist als freie Choreografen arbeitende Künstler Avantgarde-Bewegungsformen unterrichtet. Einmal wöchentlich kommen die Künstler – meist als Duo – in die Schulen und arbeiten mit den Kindern. »Mir macht das großen Spaß«, sagt die Choreografin Hannah Hegenscheidt. »Ich lerne neue Ecken von Berlin kennen. Ich komme in neue Zusamme nhänge. Und selbst wenn ich hier vor allem als Sozialarbeiterin gefordert bin, muss ich doch auch Kreativität entwickeln.«

Bei den Kindern stößt das neue Unterrichtsfach ebenfalls auf Zustimmung. Das Radialsystem war einer radikalen Verjüngungskur unterzogen, als vergangenes Wochenende 600 Berliner Schüler auf der Bühne, auf der ansonsten das Ensemble von Sasha Waltz das Publikum verzückt, demonstrierten, was sie in einem Schuljahr Tanz so alles gelernt haben. Eltern zeigten begeistert auf ihre Sprösslinge, und die, egal ob dick oder dünn, konnten zumindest schon geordnete Bewegungen nach Takt und Ton vollziehen.

DDR-erfahrene Beobachter mochten sich an die Massenchoreografien der Turn- und Sportfeste erinnert fühlen. Aber der schon damals erkannte Zusammenhang zwischen physischer Koordination und verbesserter Lernleistung durch höhere Konzentrationsfähigkeit stimmt eben auch heute. Hegenscheidt hat beobachtet, dass Klassenlehrer und Schuldirektoren an dem Tanzunterricht vor allem schätzen, dass er die Kinder näher zusammenbringt, kollektive und soziale Prozesse in Gang setzt und vor allem die Konzentrationsfähigkeit steigert.

Organisatorin Livia Patrizi freut sich über diese sekundären Effekte. Sie haben ihr Projekt zu einem Zaubermittel in der Bildungsdebatte und zu einem Modell für die in Berlin wieder in Mode gekommene kulturelle Bildung gemacht. Ihr ursprüngliches Anliegen war jedoch, zeitgenössischen Tanz als Kunstform an der Schule zu verankern. »Musikunterricht und Theater gibt es ja schon. Aber der Tanz ist oft das vernachlässigte Geschwisterkind unter den Künsten«, meint sie.

Ganz herangekommen an Musik- und Theaterunterricht ist der Tanz auf institutioneller Ebene noch nicht, aber das Projekt ist auf einem guten Weg. Zum 30. Juni läuft allerdings die bisherige Förderung aus. »Für die Koordinierung des Unterrichts brauchen wir jährlich 48 000 Euro. Das kam bislang vom Senat«, erzählt Patrizi.

Die Arbeit der Choreografen entspricht nach ihrer Schätzung einem Wert von mehr als 200 000 Euro. Dieser Betrag wird von den Schulen aufgebracht, ein Drittel davon über Elternbeiträge, ein Drittel durch Mischfinanzierung von Eltern und Schule und der Rest über diverse Spenden sowie Fördermittel der Bezirksämter. Patrizi möchte das Projekt gern ausweiten. »Es gibt viele Nachfragen«, meint sie. Einen Antrag zur Weiterförderung hat sie bei dem neu eingerichteten Träger für Kulturelle Bildung eingereicht. Sie hofft nicht nur auf das Geld für die Managementkosten, sondern auch auf weitere Zuwendungen, die vor allem Schulen in sozial schwachen Gebieten entlasten können.

Interessenten, seien es Künstler, Paten, Geldgeber, Lehrer oder Eltern, können sich im Podewils`schen Palais, Klosterstraße 68, Tel. 24 74 97 91, oder über www.tanzzeit-schule.de, tanzzeit@tanzzeit-schule.de informieren.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal