Cree-Führer lassen sich kaufen

Milliardenbeträge für Landrechte/Minderheit lehnt Vertrag ab

  • Andreas Knudsen
  • Lesedauer: 3 Min.
In einer Abstimmung haben knapp 70 Prozent der Cree-Indianer in Kanadas Quebec-Provinz ein Abkommen bestätigt, dass ihnen in den nächsten 50 Jahren 3,8 Milliarden Kanada-Dollar zusichert .
Doch was ist der Preis, den die Indianer nach 27 Jahren Widerstand zu zahlen haben? Auf den ersten Blick kein hoher, denn sie verpflichten sich lediglich, im Gegenzug auf weitere rechtliche Schritte in Kanada oder in internationalen Gremien zu verzichten. Die gewonnene Summe entspricht knapp drei Millionen Euro und bildet die Grundlage für den Hausbau, die Ausbildung und die Abwasseranlagen der nächsten zwei Generationen. Doch warum reagiert knapp jeder dritte Cree-Indianer so abweisend und bitter? »Wir sind geschockt. Wir sind besiegt worden von unseren eigenen Führern. Alles ist hinter verschlossenen Türen vor sich gegangen«, berichtet Roger Orr aus Nemaska, nördlich von Montreal. In der Tat lässt das 16-Seiten-Dokument eine Menge Fragen offen. Auch die kanadische Presse fragt sich, ob das Abkommen ein Modell für die Zukunft der angloeuropäisch-indianischen Beziehungen ist, oder lediglich ein gelungener Betrug von Regierungsstellen und Energiekonzernen. Das »Ja« der Cree-Mehrheit öffnet dem Energieriesen Hydro-Quebec die Möglichkeit, Staudämme entlang der Flüsse zu bauen. Seit Jahrzehnten hat das Unternehmen darum gekämpft, mit der nächsten Ausbaustufe ihres Staudammnetzes beginnen zu können. Der hinhaltende Widerstand von Cree-Indianern und Umweltorganisationen hatte dies bisher verhindern können. Der negative Einfluss der Energieprojekte auf die Umwelt sowie die traditionelle Lebensweise der Indianer und Inuit ist der Hintergrund für den Widerstand. Fischreiche Flüsse werden nach dem Bau der Staudämme zu Bächen degradiert. Die einheimischen Jäger verlieren weitere Jagdgründe und damit Einnahmequellen. Da ihnen eine höhere Ausbildung fehlt, werden sie nicht viel mehr als Hilfsarbeiterjobs auf den Baustellen bekommen können. Dafür werden Tausende von Bauarbeitern aus Südkanada in den Norden kommen und die Cree in eine Minderheit verwandeln. Die Neinquote in den Cree-Siedlungen war dann auch dort am größten, wo Lager und Dämme gebaut werden sollen. Die lokalen Chiefs waren von der Verhandlungsdelegation der Grand-Cree-Nation unter Leitung ihres langjährigen Oberhäuptlings Ted Moses im Unklaren über die Vertragsdetails gelassen worden. Auf der Versammlung der Cree im Vorjahr hatte eine klare Mehrheit den Chiefs den Auftrag gegeben, über keine weiteren Staudammprojekte mehr zu verhandeln. Viele Cree-Indianer fragen sich nun, was hinter den verschlossenen Türen abgesprochen wurde. Zumal eine Klausel besagt, dass die Cree in der Vertragsperiode von 50 Jahren sich nicht an die Presse oder internationale Gremien wie die UNO-Arbeitsgruppe für Urvölker wenden dürfen. Fest steht: Das Cree-Abkommen ist wesentlich schlechter als der Nunavut-Vertrag, den die Inuit vor drei Jahren mit Kanada eingingen. Die französischsprachige Provinz Quebec hat ihre separatistischen Ambitionen gedämpft, aber längst nicht aufgegeben. Die Separatisten mussten in den 90er Jahren feststellen, dass die Drohung der Cree-Nation, im Falle eines Quebecer Alleinganges ihre staatsrechtliche Stellung zu überdenken, die Anhänger eines einheitlichen Kanadas stärkte. Welche Stärke würden die Cree jetzt im Fall der Separation haben? Die Cree müssen nun versuchen, das Geld in Jobs, Ausbildung und gestärkte Selbstverwaltung zu investieren. »Nur dann ist von einem historischen Moment zu sprechen, wenn die Cree-Rechte voll anerkannt werden«, betonte Ted Moses nach dem Referendum.
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