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Kieslowski-Erbe Tom Tykwer: ein Mittelgewicht
Krzysztof Kieslowski war zu Lebzeiten der im westlichen Ausland vielleicht bekannteste polnische Regisseur. Durch seinen »Dekalog«, eine frei assoziierende Folge einstündiger Lehrstücke über die zehn Gebote, vom polnischen Regimekritiker zum universalen Metaphysiker und Moralphilosophen promoviert, hatte Kieslowski enormen Einfluss auf die inhaltliche wie ästhetische Entwicklung einer ganzen Regie-Generation. Die Langfassungen zweier der zehn Filme, »Ein kurzer Film über die Liebe« und, mehr noch, »Ein kurzer Film über das Töten«, gehören zum klassischen Kanon europäischer Filmkunst.
Eine Promotionsschrift ist auch die umfangreiche Studie des Mannes, seines Denkens und Werks, mit der Margarete Wach die Lücke füllt, die bisher zum Thema Kieslowski auf dem deutschsprachigen Buchmarkt klaffte. Wenn es Sprachbarrieren gewesen sein sollten, die einer ausführlichen Würdigung im Weg standen, war Wach die richtige Frau zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Selbst in Polen geboren, waren ihr schriftliche Quellen aus beiden Wirkenssphären Kieslowskis verständlich, aus den formbildenden polnischen Jahren und der späten französischen Periode. Mit ihrer sprachlich wie analytisch anspruchsvollen Monografie öffnet Wach damit erstmals polnischsprachige Quellen in ausführlichen Zitaten für die außerpolnische Forschung.
Sie zeichnet Kieslowskis Weg von der Ausbildung im Dokumentarfach unter zwei international renommierten Lehrmeistern über seine sozialpolitisch engagierten Dokumentar- und frühen Spielfilme und die Zugehörigkeit zur Bewegung des »Kinos der moralischen Unruhe« während der Siebziger nach, bis zur pessimistischen, stärker fragmentarischen Weltsicht der späten Jahre, findet Parallelen zu den Schriften von Camus und den Filmen von Ingmar Bergman und Robert Altman. Sie verteidigt Kieslowskis letzte Filmreihe, die Trilogie nach den Farben der französischen Trikolore - Rot, Weiß, Blau -, in denen er sich mit den Leitbegriffen der französischen Revolution auseinander setzte und Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit auf ihre Wirksamkeit in der Privatsphäre des Einzelnen in der Gegenwart untersuchte, gegen Anwürfe der Verflachung und leichtfertigen Abkehr von allem Politischen. Tom Tykwer sei unter den vielen europäischen Erben und Epigonen vom polnischen Nachfolger Jerzy Stuhr bis zum Österreicher Michael Haneke ein »Kieslowski light«, diese These stellt Margarete Wach gegen Ende ihrer Ausführungen in den Raum. Wenn das stimmt, dann wäre der Eröffnungsfilm der Berlinale, Tom Tykwers »Heaven« nach einer hinterlassenen Filmnovelle von Kieslowski und seinem Ko-Autor Krzysztof Piesiewicz, wohl so etwas wie ein Mittelgewicht, irgendwo auf halber Strecke zwischen Original und abgespeckter Diätversion.
Tatsächlich hält Tykwer sich so eng an die Vorlage, dass sein Film streckenweise wie ein echter später Kieslowski wirkt. Von dem Kieslowski damit, der die im Polen vor dem Ende der Blöcke verinnerlichten Unterscheidungen zwischen »denen da oben« und »uns hier unten« außerhalb der Heimat auf ein mitteleuropäisches Umfeld überträgt, mit dem sie sich nicht immer vertragen. Von einem Kieslowski, der angesichts gleichlautender Geburtsdaten zum Zahlenmystiker wird und seine Figuren in immer unwahrscheinlichere Extreme quasi-religiöser, oft beinahe surrealer Sackgassen treibt, weit entfernt vom realistischen Anspruch, der im dokumentarischen Frühwerk und den polnischen Spielfilmen die ebenfalls zu seinem ästhetischen Erbe gehörende Tradition poetischer Überhöhung noch stets im Zaum hielt.
Aber wenn, so Wach nicht ganz zu Unrecht, Tykwers »Lola rennt« sich als »multimediales Remake« auf Kieslowskis »Der Zufall möglicherweise« zurückbezieht, warum sollten dann zwei Autorenfilmer, die ein gesteigertes Interesse an Fragen nach Zufall oder Schicksal, Vorherbestimmtheit oder freiem Willen und Selbstbestimmung eint, schließlich nicht zu ähnlichen Ergebnissen kommen, wo es um Extremsituationen und Grenzerfahrungen, um Vorsehung und absolute Liebe geht, um Schuld und Sühne und den Tod, der erst Vereinigung bedeutet. Dass Wach ihrem Band den Text der Novelle beigibt, in eigener (nicht immer hundert-prozentig geglückter), erster deutscher Übersetzung, macht ihn auch für Tykwer-Fans zu einer interessanten Lektüre.
Margarete Wach: Krzysztof Kieslowski. Kino der moralischen U...
Eine Promotionsschrift ist auch die umfangreiche Studie des Mannes, seines Denkens und Werks, mit der Margarete Wach die Lücke füllt, die bisher zum Thema Kieslowski auf dem deutschsprachigen Buchmarkt klaffte. Wenn es Sprachbarrieren gewesen sein sollten, die einer ausführlichen Würdigung im Weg standen, war Wach die richtige Frau zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Selbst in Polen geboren, waren ihr schriftliche Quellen aus beiden Wirkenssphären Kieslowskis verständlich, aus den formbildenden polnischen Jahren und der späten französischen Periode. Mit ihrer sprachlich wie analytisch anspruchsvollen Monografie öffnet Wach damit erstmals polnischsprachige Quellen in ausführlichen Zitaten für die außerpolnische Forschung.
Sie zeichnet Kieslowskis Weg von der Ausbildung im Dokumentarfach unter zwei international renommierten Lehrmeistern über seine sozialpolitisch engagierten Dokumentar- und frühen Spielfilme und die Zugehörigkeit zur Bewegung des »Kinos der moralischen Unruhe« während der Siebziger nach, bis zur pessimistischen, stärker fragmentarischen Weltsicht der späten Jahre, findet Parallelen zu den Schriften von Camus und den Filmen von Ingmar Bergman und Robert Altman. Sie verteidigt Kieslowskis letzte Filmreihe, die Trilogie nach den Farben der französischen Trikolore - Rot, Weiß, Blau -, in denen er sich mit den Leitbegriffen der französischen Revolution auseinander setzte und Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit auf ihre Wirksamkeit in der Privatsphäre des Einzelnen in der Gegenwart untersuchte, gegen Anwürfe der Verflachung und leichtfertigen Abkehr von allem Politischen. Tom Tykwer sei unter den vielen europäischen Erben und Epigonen vom polnischen Nachfolger Jerzy Stuhr bis zum Österreicher Michael Haneke ein »Kieslowski light«, diese These stellt Margarete Wach gegen Ende ihrer Ausführungen in den Raum. Wenn das stimmt, dann wäre der Eröffnungsfilm der Berlinale, Tom Tykwers »Heaven« nach einer hinterlassenen Filmnovelle von Kieslowski und seinem Ko-Autor Krzysztof Piesiewicz, wohl so etwas wie ein Mittelgewicht, irgendwo auf halber Strecke zwischen Original und abgespeckter Diätversion.
Tatsächlich hält Tykwer sich so eng an die Vorlage, dass sein Film streckenweise wie ein echter später Kieslowski wirkt. Von dem Kieslowski damit, der die im Polen vor dem Ende der Blöcke verinnerlichten Unterscheidungen zwischen »denen da oben« und »uns hier unten« außerhalb der Heimat auf ein mitteleuropäisches Umfeld überträgt, mit dem sie sich nicht immer vertragen. Von einem Kieslowski, der angesichts gleichlautender Geburtsdaten zum Zahlenmystiker wird und seine Figuren in immer unwahrscheinlichere Extreme quasi-religiöser, oft beinahe surrealer Sackgassen treibt, weit entfernt vom realistischen Anspruch, der im dokumentarischen Frühwerk und den polnischen Spielfilmen die ebenfalls zu seinem ästhetischen Erbe gehörende Tradition poetischer Überhöhung noch stets im Zaum hielt.
Aber wenn, so Wach nicht ganz zu Unrecht, Tykwers »Lola rennt« sich als »multimediales Remake« auf Kieslowskis »Der Zufall möglicherweise« zurückbezieht, warum sollten dann zwei Autorenfilmer, die ein gesteigertes Interesse an Fragen nach Zufall oder Schicksal, Vorherbestimmtheit oder freiem Willen und Selbstbestimmung eint, schließlich nicht zu ähnlichen Ergebnissen kommen, wo es um Extremsituationen und Grenzerfahrungen, um Vorsehung und absolute Liebe geht, um Schuld und Sühne und den Tod, der erst Vereinigung bedeutet. Dass Wach ihrem Band den Text der Novelle beigibt, in eigener (nicht immer hundert-prozentig geglückter), erster deutscher Übersetzung, macht ihn auch für Tykwer-Fans zu einer interessanten Lektüre.
Margarete Wach: Krzysztof Kieslowski. Kino der moralischen U...
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