Gartenarbeit mit Stil

Fotografien von Eva Kemlein im Berliner »Verborgenen Museum«

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.
Eva Kemlein machte sich als Theaterfotografin einen großen Namen. Mehr noch, sie ist die Instanz der Berliner Theaterfotografie seit 1945. Gegenwärtig widmet das »Verborgene Museum« Eva Kemlein eine Hommage. Da sind natürlich ihre Szenenfotos und Rollenporträts vertreten. Helene Weigel im »Kaukasischen Kreidekreis« und als Mutter Courage etwa, Ernst Busch als Galilei, Wolfgang Langhoff als Thomas Münzer. Kemlein hat damit, wenn nicht Theatergeschichte geschrieben, so sie doch dokumentiert. Leider haftet den Abzügen der prinzipielle Makel der Theaterfotografie an: Sie vermag nicht, den Ausdruck des einen künstlerischen Mediums in das andere adäquat zu übertragen. Dynamik und Ausstrahlung der szenischen Darstellung gehen verloren. Langhoff guckt als Münzer ernst, eher ein saturierter Luther als ein zorniger Rebell. Gestik und Mimik der Weigel erstarren in der Luft, Ernst Buschs Expressivität erahnt man nur, wenn man um sie weiß. Als eigenständige fotografische Werke sind Porträts von Brecht, Müller, Paul Robeson, Fritz Cremer, Hanns Eisler, Igor Oistrach oder der Loren schon gelungener. Dennoch macht sich bemerkbar, dass das Auge des heutigen Betrachters durch ausgefeilte fotografische Inszenierungen à la Boltanski, Ruff oder Sherman konditioniert wurde; ihm erscheinen dem Alltag abgerungene Momentaufnahmen nicht spektakulär genug.
Eine Entdeckung ist Eva Kemlein als Berlin-Fotografin. Sie war bereits an der ersten Ausgabe der »Berliner Zeitung« im Mai 1945 beteiligt. Bestechend ihre Aufnahmen von Trümmerfrauen. Im Vordergrund sieht man zwei von ihnen eine Karre beladen. Durch zerborstene Wände hindurch geht der Blick in die erste Etage des Wohnhauses, in dem weitere Frauen beschäftigt sind, unermüdlich die Einzelnen, ein hohes, komplexes Gebilde das Ganze. Beeindruckend auch die Ansicht der Trümmerbahn, die ganze Gebirge von abgeklopften Ziegelsteinen an der Warschauer Straße auftürmt.
Männer tauchen auf den Fotografien nur bei Gartenarbeiten auf. Zwei alte Herren etwa stehen sich gegenüber und graben ein Beet um. Der eine hat eine Zigarettenspitze im Mund - Stil selbst bei einfachsten Tätigkeiten. Exzellent sind zwei Beobachtungen vom Berliner Schwarzmarkt. Ein Mädchen streckt sich lasziv auf einer Brüstung. Ein junger Mann, die Haare streng nach hinten gekämmt, hat eine gerade angezündete Zigarette im Mund und hält seiner Partnerin die Schachtel entgegen. Mit einer dem amerikanischen Kino abgeguckten Geste greift sie nach dem aus der Schachtel guckenden Mundstück. Das Gegenstück zu dieser Lebewelt bilden zwei erschöpfte, Rucksack bepackte Menschen. Von Ermüdung gezeichnet die Gesichter, leer ihr Blick. Man glaubt ihnen die Pein anzusehen, das letzte Entbehrliche verkaufen zu müssen.
Ein Jahr lang dokumentierte Eva Kemlein die Schäden des Stadtschlosses. Sie war auch bei der Sprengung mit ihrer Kamera zugegen. Auf den wenigen hier ausgestellten Fotos ist noch einmal zu erkennen, wie viel Bausubstanz doch vorhanden war. Aber auch das Ausmaß der Schäden offenbart sich. Ungefähr 90 Abzüge aus den beschriebenen Themenkreisen sind im »Verborgenen Museum« ausgestellt. Das dort erhältliche Buch »Eva Kemlein - Ein Leben mit der Kamera« von Ingeborg Pietzsch und Eva Kemlein sowie auf Video verfügbare TV-Porträts geben weitere Auskünfte über Leben und Werk der 92-jährigen Fotografin.

Das Verborgene Museum, Schlüterstr. 70, 10625 Berlin, Do-Fr 15-19, Sa, So 12-16 Uhr, bis 24.3.
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