nd-aktuell.de / 21.02.2002 / Kultur

Das Ende der Gleichgültigkeit

Veronique Tadjo über den Völkermord in Ruanda

Manfred Loimeier
Es gibt Ereignisse in der Gegenwart, die wegen ihrer historischen Sonderstellung einer literarischen Gestaltung geradezu entgegenharren. Dazu zählt auch der Völkermord 1994 in Ruanda - daran kommt kein afrikanischer Schriftsteller vorbei, meint man. Aber afrikanische Intellektuelle zeigten bisher eine überraschende Zurückhaltung, was den Genozid im Herzen Afrikas vor mittlerweile sieben Jahren angeht.
Diese Vernachlässigung hat nun ein Ende. Mit dem Buch »Der Schatten Gottes« legt die 46-jährige Schriftstellerin und Illustratorin Veronique Tadjo von der Elfenbeinküste einen literarischen Reisebericht vor, der den Schwierigkeiten Rechnung trägt, das Grauen des Kriegs belletristisch fassbar zu machen. Kann man über diesen Völkermord schreiben, ohne ihn zu verharmlosen? Tadjos »Der Schatten Gottes« zeigt: Man kann.
Tadjo wählte die Form eines literarischen Reiseberichts und wechselte zwischen drei Linien, denen ihr Text folgt. Sie zitiert Untersuchungsberichte, führt Gespräche mit Passanten, und sie beschreibt ihre eigenen Irritationen. Zum Beispiel ihr Erstaunen über die gelassene Atmosphäre in der ruandischen Hauptstadt Kigali, wo auf den Straßen Erdnüsse und Früchte verkauft werden, wie sonst in afrikanischen Städten auch. Die Spuren des Völkermords, merkt die Autorin aber bald, haben sich in die Seelen der Ruander gegraben. In den Gesprächen erhält die Autorin einen Überblick über die Bandbreite der damaligen Grausamkeiten. Da ist die Frau, die vergewaltigt wurde; die Mutter, vor deren Augen ihre Kinder tot geprügelt wurden; die Witwe, die den Mörder ihrer Familie heiratete. Die menschlichen Dramen, verdeutlicht Veronique Tadjo, vollziehen sich in Ruanda heute womöglich nicht minder brutal als damals.
Tadjo, die bereits drei Romane, ein Dutzend Kinderbücher und zwei Gedichtbände veröffentlichte, hat das Buch »Der Schatten Gottes« in einem verblüffend melodisch-poetischen Rhythmus verfasst. Beides, die nüchtern beobachtende Perspektive und der bedachte, versöhnliche Tonfall schaffen eine Distanz, die das Geschehen zwar vor Augen führt, aber sich kein Urteil anmaßt.

Veronique Tadjo: Der Schatten Gottes. Aus dem Englischen von Sigrid Groß. Peter Hammer Verlag. 240 Seiten, Broschur, 12,90 EUR.