Die Fete als Sehnsuchtsort

Uraufführung von Lutz Hübners »Winner & Loser« in Hannover

  • Volker Trauth
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.
Wie Menschen um ihre Würde und um ihre Anerkennung kämpften und wie das in Drucksituationen funktioniert« - das ins künstlerische Bild zwingen zu wollen, ist nach eigenen Bekunden der übergreifende Schreibimpuls des 35-jährigen Dramatikers Lutz Hübner. Tatsächlich sind es in seinen Stücken immer wieder Drucksituationen, in denen die Menschen auf sich selbst zurückgeworfen und zur Gegenwehr gezwungen werden. In »Creeps« setzen sich 17-jährige Mädchen einem entwürdigenden Casting um die Traumstelle einer Moderatorin bei einem Trendy- Musiksender aus und wachen erst auf, nachdem sie begriffen haben, welch Schindluder da mit ihnen getrieben wird. In »Oh, Theodora!« sind zwei alte Männer nach dem vermeintlichen Verschwinden der Wirtin ihrer Stammkneipe gezwungen, über sich und ihr vertanes Leben nachzudenken, und in »Herzmündung« will sich Mark Chapman, der Mörder der Pop-Ikone John Lennon, im Gefängnis von Attika mit dem Verweis auf seine zerplatzten Lebensträume von aller Schuld rein waschen. In eine Druckkammer versetzt sind auch die Stückfiguren von Hübners neuestem Stück mit dem bezeichnenden Titel »Winner & Loser«. In der elterlichen Wohnung des Abiturienten Andi treffen sie sich zur Party. Sie kommen aus unterschiedlichen Elternhäusern und versuchen, ihre unbestimmten Hoffnungen auszuleben. Die Fete als Sehnsuchtsort und als Stunde der Wahrheit. Richtungslos irren die Unberatenen umher. Ein seltsamer Druck hindert sie daran, die Leichtigkeit des Seins erfahren zu können. Lebensängste haben sie auf irgendeine Weise alle. Da ist Andi (Christopher Weiß), der Klassenprimus, der zwar auf Grund seines Zensurendurchschnitts die besten Berufsaussichten hat, der aber von der Angst gelähmt ist, er werde sich seine geheimen sexuellen Wünsche nie erfüllen können. An seiner Seite, ihn bewundernd und gleichzeitig herabwürdigend, Julian (Mirko Lang), dem die Mädchenherzen zufliegen und der seine schnellen Erfolge zu einer Theorie von der Allmacht des sexuellen Begehrens aufgipfelt. Aber auch er wird insgeheim von Zukunftsängsten heimgesucht - selbst wenn er die lauthals unter Selbstdarstellung verbergen will. Eine freiwillige Statistenrolle nimmt der dritte Junge Sven (Johannes Nehlsen) ein. Schon früh hat er begriffen, dass er beim sexuellen Wettbewerb bestenfalls »auf den hinteren Plätzen« einkommen wird. So hat er sich mit dem Chatten im Internet begnügt und liest verzückt die nichts sagenden Erwiderungen seiner unbekannten Partnerinnen vor. Das Objekt von Andis sexueller Begierde ist Marie (Julia Malik), die Schönste auf dem Schulhof, die darunter leidet, dass sie nur ihres guten Aussehens wegen bei den Jungen gefragt ist. Ihr Erscheinen auf Andis Party ist einem Missverständnis geschuldet. Eigentlich wollte sie dort Julian treffen, der ihr unlängst den Laufpass gegeben hat. Andis schüchterne Annäherungsversuche müssen deshalb bei ihr auf Unverständnis stoßen. Julians Interesse aber hat sich längst einem betrunkenen und zu allem bereiten weiblichen Eindringling zugewendet. Da schlägt das zweifelhafte Vergnügen in die totale Katastrophe um. Die Party wird zum Desaster, ein Sachschaden von 30000 Euro ist die Folge - wie wir schon im Vorspiel erfahren haben. In Barbara Bürks Inszenierung erscheint im Epilog ein offensichtlich in die Jahre gekommener Mann mit einem abgeklärt grinsenden riesigen Pappkopf. Es soll Andis alter ego sein - 20 Jahre später und inzwischen vom Leben gebeutelt. Er erinnert sich an damals, und dabei ist ein seltsamer Zug von Resignation um seine Lippen. Andis Lebensangst ist also so unbegründet nicht gewesen. Barbara Bürk hat das turbulente Geschehen mit Gespür für überraschende Wendungen und ohne ehrgeizige Regie-Zutaten inszeniert - sieht man einmal von den unnötigen, auf eine Leinwand im Hintergrund übertragenen Einblendungen von den Vorgängen auf der Toilette ab. Auf der Bühne stehen Studenten und Absolventen der Hochschule für Theater und Musik Hannover. Die Regisseurin hat sie so geführt, dass fast immer die zweite Schicht, der doppelte Boden eines Vorgangs aufscheinen kann. Julia Malik hat als Marie, obwohl selbst von unerfüllten Wünschen niedergedrückt, Momente verstehenden Mitgefühls mit Andis Frust, und Mirko Lang lässt auch in den Augenblicken des schnellen Erfolgs bei Frauen eine tiefsitzende Zukunftsangst durchscheinen. Aglaja Stadelmann als die enervierende Fremde allerdings kommt über eine durchgängig laute und grobe Zurschaustellung von Betrunkenheit und krakeelender Geilheit nicht hinaus. Trotzdem: Barbara Bürks Uraufführungsinszenierung wird mit Sicherheit andere Theater anregen, Hübners ...

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