Atom noch lange nicht passé

Fachleute diskutierten am Wochenende über die künftige Energiepolitik

  • Heiko Balsmeyer
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Lage der bündnisgrünen Partei ist nicht rosig. Denn die nötigen fünf Prozent bei der Bundestagswahl im Herbst sind keineswegs sicher. Grund genug für den grünen Umweltminister, Jürgen Trittin, Vertreter von Wissenschaft und Verbänden nach Berlin einzuladen, um sich für den Atomausstieg und seine Klimaschutzpolitik feiern zu lassen.
Die Bilanz fiel auf der Tagung nicht so positiv aus wie von Trittin erwartet. So wird die Bundesregierung bereits in der nächsten Legislaturperiode den ersten klimapolitischen Offenbarungseid leisten müssen. Nach Ansicht mehrerer Experten wird nämlich das Klimaschutzziel einer 25-prozentigen CO-Reduktion bis 2005 nicht erreicht. Hans-Joachim Ziesing vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erklärte: »Wir schaffen es schlichtweg nicht.« Laut Ziesing ist ein Großteil der bisher erreichten Einsparungen vor allem auf den Zusammenbruch der Industrie in Ostdeutschland zurückzuführen, weil 75 Prozent der Reduktionen bereits bis zu den Jahren 1993/94 angefallen seien. Danach wurde keine ausreichende klimapolitische Dynamik erzeugt. So sollte beispielsweise der Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) ein Kernstück des Klimaschutzkonzepts der Bundesregierung werden. Der jetzt in Gesetzesform gegossene Kompromiss führe nicht zum Ziel, wurde in mehreren Beiträgen betont. Der Erhalt von KWK-Anlagen werde zwar gefördert, eine Förderung des Neubaus dieser energieeffizienten Anlagen stehe jedoch aus. Für die EU-Kommission musste Christian Waeterloss einräumen, dass das Kyoto-Ziel in der Europäischen Union - minus 5,2 Prozent beim CO - nicht erreicht werde. Trotzdem herrschte weitgehende Einigkeit über den Sinn dieser klimapolitischen Ziele, weil sie die Politik überprüfbar machen und zu verstärkten Anstrengungen führen. Insbesondere die energiepolitischen Entscheidungen, die den Zeitraum bis zum Jahr 2020 betreffen, sind nach Auffassung von Ziesing für den Klimaschutz wichtig. In diesem Zeitraum werden in Deutschland Kraftwerke mit einer Kapazität von 40000 bis 60000 Megawatt abgeschaltet. Die Entscheidungen über Ersatzinvestitionen würden dann für 30 bis 40 Jahre Bestand haben. Es sei darauf einzuwirken, dass diese Investitionen in klimafreundliche Alternativen wie KWK und erneuerbare Energien erfolgen. Einziger uneingeschränkter klimapolitischer Erfolg der rot-grünen Bundesregierung ist die Fortschreibung des früheren Einspeisungsgesetzes zum Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Es zwingt die Stromnetzbetreiber zum Anschluss von Anlagen, die Strom aus erneuerbaren Energien erzeugen. Vor allem bei der Windkraft hat das Gesetz zu einem ungeheuren Boom geführt. So gibt es nach Trittins Angaben in Deutschland mittlerweile Windräder mit 8750 Megawatt (MW), und allein im Jahr 2001 wurden Rotoren mit 2600 MW in Schwung gebracht. Die Fotovoltaik hat eine Leistung von 214 MW erreicht und mit Biomasse werden 5000 Megawattstunden Strom jährlich umweltfreundlich erzeugt. Der Umweltminister wollte sich auch für den Atomausstieg loben lassen. Dies wurde ihm von zwei Seiten verweigert. Hans-Dieter Harig, Vorstandsvorsitzender des größten deutschen Atomkonzerns E.ON, versuchte vergeblich das Auditorium davon zu überzeugen, dass es aus klimapolitischen Gründen keine Alternative zu Atomkraftwerken gebe. Demgegenüber sorgte die Vorsitzende des Umweltverbands BUND, Angelika Zahrnt, durch ihren Hinweis auf den Etikettenschwindel des Atomausstiegs für Stimmung. Der Vertrag zwischen der Bundesregierung und den Betreibern von Atomkraftwerken werde nicht zur vorzeitigen Stilllegung von Atomkraftwerken führen. Stattdessen seien die Atomkraftwerke noch mindestens 20 Jahren am Netz. »Der Atomausstieg ist eine irreführende Bezeichnung für die Garantie zum Weiterbetrieb«, sagte Zahrnt. Daher ist laut BUND eine Novelle des Atomgesetzes mit dem Ziel des sofor- tigen Ausstiegs notwendig. Dieser sei sogar entschädigungsfrei möglich, weil nach Auffassung des BUND und anderer Umweltverbände der Betrieb von Atomkraftwerken verfassungswidrig ist. Für diese klaren Worte bekam sie den kräftigsten Applaus. Trittin ging darauf nicht ein, sondern versuchte zu polarisieren. Bei der nächsten Wahl gehe es darum, ob mit Stoiber der atompolitische Rückschritt eingeleitet werde oder ob mit Rot-Grün der Atomkompromiss weitergeführt werde.
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