nd-aktuell.de / 21.02.2002 / Politik

Kehrtwende in der Geschichtswerkstatt nötig

Wissenschaftler kritisieren Stiftung und Ausstellung

Hendrik Lasch
Die »Stiftung Saalecker Werkstätten« steht vor einer Neuausrichtung, seit ein Gutachten die »unkritische« Sicht auf den Architekten und NS-Rassentheoretiker Paul Schulze-Naumburg moniert.
Ein Verriss - anders kann man das Gutachten nicht nennen, mit dem zwei renommierte Wissenschaftler die bisherige Arbeit der Stiftung »Saalecker Werkstätten« und des Vereins »Ökowerkstatt an der Finne« resümieren. Der Verein ist seit Ende der 90er Jahre aktiv, die Stiftung wurde 2001 offiziell vom Regierungspräsidium Halle anerkannt. In Saaleck, einem Ort im Süden Sachsen-Anhalts, sollen, so das Anliegen der Stiftung, das Erbe der 1904 begründeten kunstgewerblichen Werkstätten und ihres Gründers, des Architekten Paul Schulze-Naumburg, gepflegt werden. Zudem sollen künstlerische, wissenschaftliche und ökologische Projekte angeregt werden. Das ist äußerst problematisch, denn der Lebensreformer Schulze-Naumburg wurde einer der führenden Rassentheoretiker der NS-Zeit, in den Werkstätten gingen alle Nazi-Größen ein und aus. Das wurde in den bisherigen Veröffentlichungen und Veranstaltungen der Stiftung sowie vor allem in einer Ausstellung in Saaleck sträflich vernachlässigt, kritisieren die Historiker Justus H. Ulbricht und Jürgen John in ihrem Gutachten, das vom wissenschaftlichen Beirat der Stiftung in Auftrag gegeben und gestern Abend vorgestellt wurde. Die einseitige Betonung der kulturellen und lebensreformerischen Aktivitäten Schulze-Naumburgs sei »missverständlich«. Sie erwecke den Eindruck einer »unkritischen Schulze-Naumburg-Renaissance«, die dessen verhängnisvolles Wirken »bagatellisiere oder vertusche«. Hingewiesen wird auf seine Rolle im Kampf der extremen Rechten für eine »saubere deutsche Kultur« seit den späten 20er Jahren. Besonders dank seiner 1928 erschienenen Schrift »Kunst und Rasse« gehörte Schulze-Naumburg zu den »wichtigsten kulturellen Protagonisten« der NS-Bewegung. Öffentlichen Anstoß hatte vor allem eine im Gutachten höflich als »wenig durchdacht« bezeichnete Ausstellung erregt. Der Hallenser Historiker Arthur Schellbach befürchtete die »versteckte wissenschaftliche Verbreitung nazistischer Ansichten«. Mitarbeiter der Stiftung wiesen dies zurück und entschuldigten sich mit »Zeit- und Geldmangel«. Die Naumburger Antifaschistin Tamara Misch verwies aber im März 2001 gegenüber ND auf die umfangreiche Landesförderung für die Stiftung, die bereits damals bei weit über 80000 Mark lag. Weder Regierungspräsidium noch Kultusministerium wollten damals Versäumnisse erkennen. Der PDS-Landtagsabgeordnete Matthias Gärtner bezeichnet die jetzige Expertise als »Ohrfeige« für Ausstellungsmacher und Förderer: »Das war rausgeschmissenes Geld.« Immerhin wurde die Ausstellung geschlossen, eine neue ist für das Frühjahr avisiert. Auf Grund von Namen, Sitz und Anspruch, sagen die Wissenschaftler in ihrem Gutachten, sei die Stiftung zu einer »klaren und kritischen« Sicht auf das »widersprüchliche und hoch belastete Erbe« der Vorgängereinrichtung verpflichtet. Darauf musste an dem sensiblen Ort, der durch das Grab der beiden Mörder von Walther Rathenau ohnehin als Wallfahrtsstätte für Rechtsextreme gilt, bereits viel zu lange gewartet werden. Tamara Misch jedenfalls kündigte gestern an, weiter »sehr genau hinsehen« zu wollen.