nd-aktuell.de / 21.02.2002 / Politik

Kafka lässt grüßen

Blanke Empörung bei den BA-Beschäftigten

Olaf Michael Ostertag, Nürnberg
Depression und Verzweiflung, eiskalte Wut und heiliger Zorn - starke Worte finden die Personalräte der Bundesanstalt für Arbeit (BA), als sie sich gestern in Nürnberg versammelten. Die Statistik-Diskussion sei eine Hetzkampagne, Gegenargumente seien nicht gefragt: »Die Anklage ist das Urteil.«
Gleich vorneweg: Bernhard Jagoda hat viele Freunde in der Bundesanstalt für Arbeit. Eberhard Einsiedler zum Beispiel. Einsiedler ist Hauptpersonalratsvorsitzender, ein Mann, der einen guten Überblick über die Stimmung der Belegschaft haben dürfte. Und er meint, Jagoda sei »eine Integrationsfigur für das Amt, wie sie die Bundesanstalt für Arbeit noch nie hatte«. Und es sei eine Schweinerei, wie zurzeit mit einem verdienten Sozialpolitiker umgegangen werde, bloß weil man im Wahljahr plötzlich entdeckt, dass er das falsche Parteibuch hat. Jagoda (CDU) sei außerdem der richtige Mann für Reformen, derjenige, der im Amt überhaupt erst die Akzeptanz für das Reformprogramm »Arbeitsamt 2000« schaffen konnte. »Ich sage es noch einmal ganz deutlich: mit seinem Vorgänger wären diese Reformen nicht möglich gewesen«, so Einsiedler. Richtig gehört: Reformen. Grob gesagt geht es bei »Arbeitsamt 2000« darum, dass ein »Kunde« (so sagt man neuerdings) nicht mehr von einem Sachbearbeiter zum anderen geschickt wird, sondern Vermittlung, Leistungsgewährung, Weiterbildungsangebote, überhaupt alles von ein und demselben Ansprechpartner erhält. »Das ist eine völlig neue Welt. Ich hätte mir gewünscht, dass diejenigen, die jetzt eine erstarrte Bürokratie anprangern, sich einmal eines von den bisher 60 umgestellten Arbeitsämtern angesehen hätten - wir sind mitten in der Umstellungsphase. Und jetzt will man diese Behörde zerschlagen«, klagt der Fachgruppenvorstand Karl Obermann von der für den Öffentlichen Dienst und also auch die BA zuständigen Gewerkschaft ver.di. Kafka lässt grüßen. Einsiedler sekundiert: »Die Bürokratie ist doch eine Folge der verqueren Weisungslage aus der Politik. Ständig sollen wir irgendwelche großartigen Neuvorschläge in die Praxis umsetzen - die interne Papierflut wächst ins Unermessliche.« Auf die Politiker sind sie bei der BA allesamt nicht gut zu sprechen. Es werde in der Diskussion der Eindruck erweckt, die hohe Arbeitslosigkeit habe die Bundesanstalt verschuldet, weil sie sich weigere, die Arbeitssuchenden zu vermitteln. Aber wenn in einem Arbeitsamtsbezirk 40000 Stellungslosen nur 4000 offenen Stellen gegenüberstehen, sei auch durch mehr Vermittler nichts zu erreichen: wo nichts ist, kann man nichts vermitteln. Keinesfalls wollen sie den Vorwurf der Statistikfälschung auf sich sitzen lassen. »Dass in einem Arbeitsamt eine feuchtfröhliche Runde beschließt, heute machen wir mal wieder 15 Scheinvermittlungen, das gibt es einfach nicht«, sagt Einsiedler. Und Isolde Kunkel-Weber, ver.di-Bundesvorstandsmitglied, bemüht die Wahrscheinlichkeit: »Jeder Vermittler will sein Erfolgserlebnis. Und das bekommt man eben nicht durch Striche auf dem Papier, sondern indem man einem realen Menschen eine echte Arbeitsstelle beschafft.« Keinerlei Scheu habe die Bundesanstalt dabei vor der Konkurrenz durch private Vermittler. Dort seien heute drei Viertel aller Vermittlungen Ergebnis von Abwerbungen; die Vermittlung von bisher Arbeitslosen sei einfach kein attraktives Geschäftsfeld für die Privaten. Wer die Ausweitung der privaten Vermittlung jetzt als Allheilmittel ansehe, spreche »mit der Kompetenz des Stammtischlers, der eben erfahren hat, dass die Handballmannschaft des TUSEM Essen pro Spiel durchschnittlich 20 Tore mehr erzielt als die Fußballer von Bayern München und der vorschlägt, doch die Handballer zur Fußball-WM zu schicken«. So steht es im ver.di-eigenen Mitteilungsblatt »Klartext«. Die Kritik ist ein Aufschrei derer, die sich als der geprügelte Sack fühlen, während doch der Esel Massenarbeitslosigkeit gemeint ist. Zehn Jahre lang hat der Bundesrechnungshof die Statistik nicht beanstandet. Da dränge sich der Verdacht auf, sagen die ver.di-Vertreter, dass hier eine der Säulen des Sozialstaates beseitigt werden soll - und zum Schluss der Sozialstaat. Die Zerschlagung der BA habe wohl zum Ziel, die Verschmelzung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe voran zu bringen. »Hier sind Kräfte am Werk, die noch ganz anderes vorhaben«, sagt Personalrat Einsiedler.