Weiter so, wie es doch nicht weitergehen kann

Schwerste Luftangriffe gegen Palästinenser seit Beginn der zweiten Intifada

  • Peter Schäfer, Ramallah
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.

Nach den bislang schwersten israelischen Angriffen seit dem Beginn des palästinensischen Aufstands gegen die israelische Besatzung vor 17 Monaten sprechen beide Seiten offen von Krieg.

Diesem Krieg fielen am Mittwochmorgen mindestens 16 Palästinenser zum Opfer. Zwölf davon waren Polizisten, die zur Bewachung von Gebäuden oder Ortseingängen abgestellt waren. Dutzende Palästinenser wurden verletzt. Um fünf Uhr morgens beschoss ein Apache-Hubschrauber das Hauptquartier des palästinensischen Präsidenten Yasser Arafat in Ramallah. Arafat steht dort seit Dezember faktisch unter Hausarrest, umzingelt von Panzern. Die von dem Hubschrauber abgefeuerte Rakete zerstörte einen Wohncontainer und die Fassade eines angrenzenden Gebäudes, nur 50 Meter vom Büro Arafats entfernt. Wenig später schlugen im Flüchtlingslager al-Amari innerhalb Ramallahs, zwei Kilometer vom Hauptquartier entfernt, drei Raketen ein. Im Großteil der Stadt fiel der Strom aus. Die Angriffe auf Gaza begannen bereits zwei Stunden früher und dauerten mehrere Stunden an. Mindestens 40 Explosionen seien zu hören gewesen, berichteten Palästinenser in der Stadt. Die Bewohner flohen in Panik auf die Straßen. Allein in Gaza mussten 65 Menschen wegen schwerer Schocks behandelt werden. Die Bombardierungen sind nach israelischer Version eine Antwort auf den Überfall, den bewaffnete Palästinenser am Dienstagabend auf einen israelischen Kontrollposten bei Ramallah verübten. Dabei waren sechs Soldaten erschossen worden. Die mindestens vier Angreifer flüchteten ins Dorf Ain Arik, das sich unter israelischer Sicherheitskontrolle befindet. Die »Al-Aqsa Brigaden«, der bewaffnete Arm von Arafats Fatah-Partei, übernahm die Verantwortung für diese Aktion, mit der sie wiederum Angriffe israelischer Kampfflugzeuge auf Ramallah vom Vortag beantwortet hätten. Zwar hat Arafat die in kleinen Gruppen operierenden Brigaden vor zwei Wochen verboten, aber das ist Theorie. Der Präsident hat die Kontrolle über die bewaffneten Gruppierungen nicht zuletzt deshalb verloren, weil die Einflussmöglichkeiten seiner Polizei wegen der israelischen Zerstörungsaktionen stark eingeschränkt sind. In Reichweite der Soldaten zu operieren ist für sie lebensgefährlich. Überdies würde der Präsident der Autonomiebehörde wohl einen Bürgerkrieg riskieren, wollte er sein Verbot tatsächlich durchsetzen. So verstärken die bewaffneten Palästinenser ihre Angriffe auf israelische Siedlungen und vor allem auf militärische Kontrollposten. Letzte Woche wurde beispielsweise ein Soldat beim Dorf Surda nördlich von Ramallah aus kurzer Entfernung erschossen. Im Gaza-Streifen überfielen Guerilleros einen Posten, um einen israelischen Panzer anzulocken. Dieser wurde mit einer 80-Kilo-Bombe gesprengt, drei Insassen starben. Anschläge dieser Art sind neu und zeigen, dass die bewaffneten palästinensischen Gruppen die Zurückhaltung, mit der sie in der Vergangenheit agierten, aufgegeben haben. Nachdem sie sich ab Mitte Dezember an einen einseitigen Waffenstillstand gehalten hatten, während Israels Armee in derselben Zeit 21 Palästinenser erschoss, Ortschaften besetzte und Mitglieder einzelner Organisationen gezielt liquidierte, sind die Beschränkungen offensichtlich gefallen. Aus palästinensischer Sicht macht es wenig Sinn, militärische Zurückhaltung zu üben, wenn eine Waffenruhe von Israel zum Ausbau der Besatzung genutzt wird. In Israel gerät Ministerpräsident Ariel Scharon derweil immer stärker unter Druck - von zwei Seiten. Vorgeworfen wird ihm, keine Strategie zur Eindämmung des Palästinenseraufstands zu haben. Den Rechten greift er noch immer nicht hart genug durch. Sie verlangen die vollständige Wiederbesetzung der Palästinensergebiete und die Zerschlagung der Autonomiebehörde. Andere rufen nach einem zumindest teilweisen Rückzug, nach einer »physischen Trennung« von den Palästinensern oder nach einer internationalen Intervention. »So jedenfalls kann es nicht weitergehen«, sagte selbst der israelische Präsident Mosche Katzav am Mittwoch. Dennoch sind die meisten Beobachter davon überzeugt, dass eine weitere militärische Zuspitzung angesichts der Zwangslage, in der sich die ...

Wenn Sie ein Abo haben, loggen Sie sich ein:

Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.

Bitte aktivieren Sie Cookies, um sich einloggen zu können.