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  • Waffenstillstandsabkommen zwischen Hamas und Israel wird wieder verletzt

Gaza – ein Autoritätstest für die Hamas

Die Inlandsführung der palästinensischen Organisation sieht sich Druck des Dschihad und aus Damaskus ausgesetzt

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.
Militante Palästinenser haben den fünften Tag in Folge die mit Israel vereinbarte Waffenruhe verletzt. Am Samstagabend schlug erneut auf israelischem Boden eine Mörsergranate ein. Nach Angaben der Polizei gab es weder Verletzte noch Sachschaden.

Der Waffenstillstand im Gazastreifen hängt am seidenen Faden. Immer wieder schießen Mitglieder des Islamischen Dschihad Raketen und Granaten ab; als Reaktion wurden die Übergänge geschlossen. Allerdings wurde der Kontrollposten Sufa am Sonntag für einen »minimalen Güterverkehr« in die Palästinensergebiete wieder geöffnet.

Es ist ein Test. Dafür, wie viel Macht die radikalislamische Hamas wirklich hat über den Gazastreifen, in dem sie vor ziemlich genau einem Jahr nach schweren Kämpfen mit der Fatah-Fraktion von Präsident Mahmud Abbas die Kontrolle übernahm. Kann sie die anderen militanten Gruppen in dem dicht bevölkerten, verarmten palästinensischen Landstrich dazu bewegen, sich an den Waffenstillstand zu halten, der vor einer Woche in Kraft trat? Wird sie es notfalls mit Gewalt tun?

»Im Moment sieht es ehrlich gesagt nicht danach aus«, sagt Usi Levy, Analyst des israelischen Armeeradios. Denn seit Beginn der Waffenruhe sind vom Gazastreifen aus mindestens zehn Raketen und Granaten in Richtung der israelischen Städte und Dörfer abgefeuert worden. Verantwortlich dafür: der Islamische Dschihad, eine kleine militante Gruppe, deren Ideologie ähnlich wie die der Hamas ist. »Der Islamische Dschihad hat großes Interesse daran, an Einfluss in der palästinensischen Gesellschaft zu gewinnen«, so Levy, »aber das kann er nur, wenn er sich unnachgiebiger gibt als die Hamas«.

Für die Volksbewegung, die aus einem militärischen und einem politischen Flügel besteht, ist das ein großes Problem: Auf der einen Seite will sie, braucht sie den Waffenstillstand mit Israel, braucht sie vorzeigbare Erfolge, um ihre Macht zu konsolidieren. Auf der anderen Seite ist es eben dieser Waffenstillstand, der in aller Deutlichkeit vorführt, wie wenig Einfluss die politische Führung der Organisation hat – und das nicht nur auf die anderen militanten Gruppen, von denen es eine ganze Reihe im Gazastreifen gibt, sondern auch auf ihre eigenen Leute.

Denn die Hamas zeigt starke Anzeichen einer Spaltung: Auf der einen Seite steht die politische Führung Gazas unter Leitung von Ismail Hanijah, der Ministerpräsident der palästinensischen Einheitsregierung war, bevor dieser durch den Coup in Gaza der Garaus gemacht wurde; auf der anderen Seite wirkt derweil Khaled Maschaal, der in Damaskus ansässige Leiter des Politbüros der Hamas. Er vertritt die Ideologie der Hamas mit sehr viel mehr Nachdruck als Hanijeh, denn er ist nicht den Notwendigkeiten des politischen Tagesgeschäfts verpflichtet, die es diktieren, mit Israel zu sprechen, weil Feinde dies tun müssen, wenn sie Nachbarn sind. Maschaal vertritt die reine Lehre der Hamas, die Israel das Existenzrecht abspricht.

Dieser Disput, sagen Quellen in Gaza, wirke sich mittlerweile auch auf die Einigkeit der Essedin-al-Kassam-Brigaden, der größten Einheit des militärischen Flügels der Hamas aus: »Einige drohen damit, zur Waffe zu greifen, um Hanijah loszuwerden.« Der Disput werde aber auch vom Islamischen Dschihad dazu genutzt, sich den Menschen in dem konservativen Landstrich als Alternative zu präsentieren: »Hanijah gilt vielen als zu weich, zu nachgiebig. Er steht unter dem Druck, beweisen zu müssen, dass seine Kompromissbereitschaft etwas bringt.« Und das bedeutet: Er braucht ein Ende der israelischen Angriffe; er braucht die Lieferung von Nahrungsmitteln und Treibstoff, er braucht einen Gefangenenaustausch. Ein Sprecher von Hanijeh hat allen, die den Waffenstillstand brechen, Verhaftung angedroht. Bislang hat das aber offensichtlich noch nicht gefruchtet.

Israels Regierung scheint momentan dazu bereit, ihm entgegenzukommen: Man werde sich trotz der Raketen an den Waffenstillstand halten, so ein Sprecher von Premierminister Ehud Olmert. Nur die Grenzübergänge sind seit einigen Tagen geschlossen, was die Hamas halbherzig als Bruch der Waffenruhe bezeichnete, weil sie dazu irgend etwas sagen musste, nachdem sie sehr viel nachdrücklicher versprochen hatte, sich um ein Ende der Raketenabschüsse zu bemühen.

Auch im Lager von Hanijah weiß man: In Israel wird sehr genau beobachtet, wie sich die Hamas in diesen Zeiten schlägt, denn in Jerusalem, wo die Regierung sitzt, und in Tel Aviv, wo das Verteidigungsministerium steht, ist man nun in der absurden Situation, dass man zwar nicht mit der Hamas sprechen mag, aber dennoch an Hanijehs Schwächung kein Interesse mehr haben kann, weil man vor dem Hintergrund der aktuellen Regierungskrise in Jerusalem absolute Ruhe in Gaza braucht – und einen Gefangenenaustausch, der nun so gut wie in trockenen Tüchern zu sein scheint: Am Freitag stimmte der Inlandsgeheimdienst Schin Beth der Freilassung von Gefangenen mit »Blut an den Händen« zu. Und eine Heimkehr des Soldaten Gilad Schalit wäre ein bedeutender Erfolg – vor allem für den politisch unter Druck seiner eigenen Partei wie seiner Koalitionspartner stehenden Olmert.

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