nd-aktuell.de / 30.06.2008 / Sport / Seite 13

Brillante wirbelnde Spanier von biederen Deutschen im Finale nicht zu stoppen

Spanisches Team mit knappem 1:0-Endspielsieg gegen Deutschland, aber spielerisch deutlich überlegen neuer Europameister

Jirka Grahl, Wien
Spanien ist zum zweiten Mal Fußball-Europameister. Dank des goldenen Treffers von Spaniens Angreifer Fernando Torres in der 33. Minute feierten die Iberer gestern gegen die deutsche Nationalmannschaft den größten Erfolg nach dem Titelgewinn vor 44 Jahren. Bei ihrem 12. Länderspielsieg in Folge ließen sie sich auch durch Entschlossenheit und Selbstsicherheit der deutschen Nationalmannschaft nicht zu Fall bringen.

Es war das erwartet mitreißende Endspiel zweier gnadenloser Offensivmannschaften, das die 51 428 Zuschauer im Ernst-Happel-Stadion gestern geboten bekamen: Torchancen dutzendweise, Torwartparaden im Minutentakt, Leidenschaft auf beiden Seiten.

Überraschenderweise waren es in der Anfangsphase die Deutschen, die das Spiel bestimmten. Nach einem gelungenen Doppelpass mit Miroslav Klose kam der Stuttgarter Thomas Hitzlsperger in der 9. Minute an der Strafraumgrenze frei zum ersten Schuss, den Casillas mangels Schärfe und Passgenauigkeit jedoch sicher parieren konnte.

Die brillante spanische Mittelfeldreihe beschränkte sich da noch aufs Reagieren und wartete auf die Gelegenheit zum Tempogegenstoß, vorne lauerte der lauffreudige Fernando Torres vom FC Liverpool auf verwertbare Bälle. In der 23. Minute kam der lange Blonde erstmals in Richtung von Torwart-Oldie Jens Lehmannn zum Einsatz, als er einen Kopfball an den linken Pfosten setzte. Schon zehn Minuten später wurde Torres dann konkreter: Nach einem langen Pass von Xavi überrannte er Bayern-Verteidiger Phillipp Lahm und hob den Ball über den herausstürmenden Lehmann ins Tor. 1:0 nach 33 Minuten.

Vor allem nach dem Seitenwechsel tauchten dann Xavi (53.), Silva (54.) und Torres (55.) gefährlich vor Jens Lehmann auf, ohne ihre Chancen auf einen Ausbau der Führung zu nutzen. Bundestrainer Löw reagierte und brachte den Schalker Kevin Kuranyi als zweiten Stürmer für den Mittelfeldmann Hitzlsperger. Nun waren die Deutschen wieder im Spiel, spätestens als der unermüdliche Ballack in der 60. Minute nach mit seinem Schuss nur knapp das Tor der Spanier verfehlte.

Manchmal hatte die dramatische Schlussphase etwas von Stierkampf: Hier der deutsche Koloss, der dreifache Europameister, der wütend versuchte, die Spanier zu stellen. Dort die Spanier, die auf den letzten, tödlichen Gegenstoß lauerten. Marcos Senna verpasste in der 81. die beste Gelegenheit hierzu, als er knapp an einer Hereingabe vorbeirutschte, doch als der Schiedsrichter die Partie abpfiff, hatte das keine Bedeutung mehr: Am Ende eines umkämpften Matches waren es die Spanier, die sich glücklich in den Armen lagen.

Dem Team war in makelloser Auftritt bei dieser EM gelungen. Sechs Siege, einer mitreißender als der andere. Seit Frankreich 1984 war keiner Mannschaft mehr so ein Sieges-Durchmarsch bei einer EM geglückt.

Der 69-jährige Luis Aragones ist seit gestern der älteste Trainer, der je eine Mannschaft zum Europameistertitel geführt hat. Es brauchte wohl die stoische Gelassenheit dieses knorrigen Coaches, um den spanischen Fußballkünstlern die ewige Selbstverliebtheit auszutreiben. Aragones resümierte schon vor dem Endspiel zufrieden: »Wir können nicht nur gut Fußball spielen, wir sind mittlerweile auch echte Wettkämpfer geworden.« Recht hat er.

Deutschland: Lehmann (FC Arsenal) – Friedrich (Hertha BSC), Mertesacker (Werder Bremen), Metzelder (Real Madrid), Lahm (Bayern München – 46. Jansen, Bayern München) – Frings (Werder Bremen), Hitzlsperger (VfB Stuttgart – 58. Kuranyi, FC Schalke 04) – Schweinsteiger (Bayern München), Ballack (FC Chelsea), Podolski (Bayern München) – Klose (Bayern München - 78. Gomez VfB Stuttgart).

Spanien: Casillas (Real Madrid) – Sergio Ramos (Real Madrid), Marchena (FC Valencia), Puyol (FC Barcelona), Capdevila (FC Villareal) – Marcos Senna (FC Villareal) – Iniesta (FC Barcelona), Xavi (FC Barcelona), Fàbregas (FC Arsenal - 63. Xabi Alonso, FC Liverpool), David Silva (FC Valencia - 66. Cazorla, FC Villarreal) – Torres (FC Liverpool - 78. Güiza, RDC Mallorca).

Tore: 0:1 Torres (33.). SR: Rosetti (Italien). Zu.: 51.428