Private Nachhilfe boomt

Immer mehr kommerzielle Anbieter verdienen am Bildungsnotstand

  • Karl-Heinz Reith
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Nachhilfemarkt boomt. Früher waren es vor allem Lehrer, Studenten oder einfach ältere Schüler aus der Nachbarschaft, die sich mit Nachhilfestunden nebenher ein wenig Geld verdienten. Heute sind es zunehmend kommerzielle Anbieter, die in die Lücke vorstoßen, die das Versagen des öffentlichen Bildungswesens hinterlässt.

Der Berliner Bildungsökonom Dieter Dohmen hat in seiner jüngsten Studie bundesweit rund 3000 kommerzielle Nachhilfeschulen gezählt. Neben bundesweiten Filialketten von Großanbietern, die zum Teil mit eigenen Prüfsiegeln werben, verweist Dohmen in seiner Studie für das Bundesbildungsministerium auch auf einige »zweifelhafte Anbieter«, die etwa in Verbindung zur Scientology-Sekte stünden – oder in Sachsen zur NPD.

Den Jahresumsatz auf dem Nachhilfemarkt beziffert Dohmen bundesweit mit 0,9 bis 1,2 Milliarden Euro – bei einem schwer kalkulierbaren »Graubereich zwischen Nachbarschaftshilfe und Schwarzarbeit« bei Privatanbietern. Der Wissenschaftler wie auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) beklagen vor allem mangelnde Qualitäts-Transparenz auf dem Nachhilfemarkt sowie das Fehlen bundesweiter Anforderungen an die Qualifikation des Personals. »Jeder Wirt kommt erst auf den Prüfstand der Behörde, bevor er eine Schankerlaubnis bekommt«, kritisiert die GEW-Vizevorsitzende Marianne Demmer. Für den Betrieb einer Nachhilfeschule reicht dagegen das bloße Anmelden eines Gewerbes. Und zusätzlich gibt es sogar noch erleichterte Regeln für die Befreiung von der Umsatzsteuer.

Dabei übernimmt der private Nachhilfemarkt laut Demmer immer mehr »eigentliche Pflichtaufgaben der Schulen« wie etwa das Ausbügeln von Lernschwächen oder die individuelle Förderung der Einzelnen. Wenn dieser Markt aber immer mehr »als kommerzielles Nebenschulsystem am Nachmittag fungiert«, müsse er nach dem Grundgesetz auch der staatlichen Schulaufsicht unterstellt werden, argumentiert die Gewerkschafterin. Die in Deutschland nach wie vor vorrangig verbreitete Halbtagsschule, der frühe Auslesedruck nach meist nur vier gemeinsamen Grundschuljahren, neue Hürden beim Übergang von der neunten oder zehnten Klasse in die gymnasiale Oberstufe sowie das in einigen Bundesländern überhastet eingeführte »Turbo-Abitur« nach acht Jahren Gymnasium – das alles sorgt für steigende Anmeldezahlen bei den kommerziellen Instituten.

Laut Dohmen wird heute nicht nur dann zur bezahlten Nachhilfe gegriffen, wenn etwa die Versetzung gefährdet ist oder gar eine Rücküberweisung vom Gymnasium zur Hauptschule droht. Immer häufiger versuchen ohnehin schon gute Schüler, mit bezahlter Nachhilfe ihren Notenschnitt im Zeugnis noch weiter zu verbessern. Mit dem Titel »Erkaufte Bildungschancen« hatte Rüdiger-Philipp Rackwitz bereits 2005 seine Untersuchung zum deutschen Nachhilfemarkt überschrieben.

So sind denn auch die »Kunden« der kommerziellen Nachhilfeschulen vornehmlich Gymnasiasten und Realschüler – aus Akademikerfamilien und Elternhäusern, die es sich vom Einkommen her leisten können. Bei vier Stunden pro Woche und einjähriger Beanspruchung entstünden im Schnitt Kosten zwischen 1200 und 1750 Euro, schreibt Dohmen. Manche Eltern zahlen aber auch deutlich mehr. Das nicht nur mit den PISA-Studien angeprangerte Problem der fehlenden Chancengleichheit in deutschen Schulen wird so weiter verschärft. Aus Sicht der Bildungsgewerkschaft gehört dagegen Nachhilfe – also das nachträgliche Üben von Lernstoff wie auch die individuelle Schülerförderung – in ein staatliches Schulsystem integriert, am besten in eine Ganztagsschule für alle Schüler.

Die Stiftung Warentest hatte bereits 2006 einige private Anbieter untersucht. Wenn denn private Nachhilfe schon sein soll, dann sollte man sich bei der Stiftung nach »zertifizierten Instituten« erkundigen, rät Demmer. Auch sollte man zunächst eine Probezeit vereinbaren und »keine Knebelverträge von langer Dauer« unterschreiben.

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