Der Steiger kommt zurück

Ein neues Berggeschrey: Explodierende Rohstoffpreise bewirken, dass im sächsischen Erzgebirge wieder Bergbau betrieben wird

  • Hendrik Lasch, Freiberg
  • Lesedauer: 6 Min.
Im Erzgebirge erschallt wieder das »Berggeschrey«: 17 Jahre, nachdem die Geschichte des Erzbergbaus beendet zu sein schien, wecken explodierende Rohstoffpreise Interesse an alten, bestens erkundeten Lagerstätten.
Der Steiger kommt zurück

Horst Richter will der Erste sein. Im Jahr 2010 soll eine Tochterfirma des von dem Geologen geleiteten Freiberger Ingenieurbetriebs GEOS im Erzgebirge ein neues Kapitel Bergwerksgeschichte einläuten. In dem Ort Niederschlag, nicht weit vom Fichtelberg, soll dann eine Grube eröffnet werden, in der Fluss- und Schwerspat gefördert werden. Es wäre ein historisches Ereignis: Der Erzbergbau im Erzgebirge, 1991 nach rund 800-jähriger Geschichte scheinbar für immer eingestellt, käme erneut in Gang. Die Menschen in der Region, die vom Bergbau tief geprägt wurde, sind wie elektrisiert. Schon gehen Bewerbungen ehemaliger Bergleute für eine Anstellung in der neuen Grube ein. »Die Reaktion im Gebirge«, sagt der Ingenieur Richter sachlich, »ist sehr positiv.«

Lagerstätten nie aus dem Blick verloren
Noch steht Richter nicht in einem Stollen des Bergwerks, sondern sitzt in einem Büro in Freiberg. Im Regal liegen Erinnerungsstücke an den Bergbau in der DDR. Richter hat das vermeintlich letzte Kapitel erzgebirgischer Bergbaugeschichte, das vor 17 Jahren mit der Schließung der Zinngrube Altenberg zu Ende ging, aus nächster Nähe miterlebt: Als Mitarbeiter des VEB Geologische Forschung und Erkundung untersuchte er eine Vielzahl von Lagerstätten – einschließlich der in Niederschlag. Die sei ihm als Betriebsleiter bereits 1978 übergeben worden, sagt Richter, der betont, die Vorkommen »nie aus den Augen verloren« zu haben. Für die Öffentlichkeit war der Erzbergbau um Altenberg, Annaberg und Aue mit dem Ende der DDR aber vorbei: Die Erzgänge, so hieß es, seien erschöpft oder enthielten Metalle nur noch in so geringer Konzentration, dass sich der Abbau nicht mehr lohnt.

Das hat sich gründlich geändert – vor allem dank explodierender Nachfrage auf dem Weltmarkt nach Rohstoffen aller Art. Der Preis für Flussspat, der zur Herstellung von Fluor und als Flussmittel in der Metallindustrie genutzt wird, stieg binnen eines halben Jahres von 270 auf 340 Dollar je Tonne, sagt Richter: »Eine Entwicklung, die ermutigt.« Ähnlich ist die Lage bei anderen Metallen. Zinn, von dem allein um Altenberg 130 000 Tonnen vermutet werden und das auch im Westerzgebirge reichlich vorkommt, kostet 12 000 Euro je Tonne – dreimal mehr als noch vor wenigen Jahren. Angesichts dessen könne sich die noch unlängst als nicht rentabel angesehene Förderung wieder lohnen, sagt Peter Horler, Sprecher des Sächsischen Oberbergamtes in Freiberg: »Das entscheidende Kriterium sind die Preise auf dem Weltmarkt.«

Horler, der nahe des Freiberger Schlosses in einem Renaissancehaus mit gewölbten Decken sitzt, belegt das gestiegene Interesse an Rohstoffen im Erzgebirge und anderen Regionen des Freistaats mit einer Karte, auf der viele gekreuzte Hämmer als Symbol für Bergbau eingezeichnet sind. Sie markieren Lagerstätten mit Zinn und Wolfram ebenso wie ein spektakuläres Kupfervorkommen in der Lausitz, wo in einem Kilometer Tiefe rund 100 Millionen Tonnen Erz mit einem Kupfergehalt von 1,5 Millionen Tonnen vermutet werden. Für insgesamt zehn Lagerstätten seien in den vergangenen Monaten bei seiner Behörde Anträge auf Erkundung gestellt worden, sagt Horler – teilweise gleich von mehreren namhaften Bergbauunternehmen. Für das Vorkommen in Niederschlag hat die GEOS-Tochter »Erzgebirgische Fluss- und Schwerspat-Company« sogar bereits eine Bewilligung erhalten: Aufschluss und Förderung können beginnen.

Nicht nur beim Oberbergamt wird angesichts dieser unverhofft aufgeflammten Nachfrage ein altehrwürdiger Begriff hervorgeholt: »Neues Berggeschrey«, heißt es in der Legende der Karte. Mit dem Terminus wurde im Mittelalter der Ansturm von Glückssuchern auf das Erzgebirge bezeichnet, nachdem dort ab 1168 immer neue Lagerstätten mit Silber, Zinn und anderen wertvollen Metallen erschlossen wurden. Bis 1913 wurden geschätzte 5400 Tonnen reines Silber aus den Tiefen des Erzgebirges gefördert. Der Bergbau bewirkte eine wirtschaftliche Prosperität, von der noch heute die imposanten historischen Gebäude in Bergstädten wie Freiberg zeugen. Und auch, als die Silberadern versiegten, behielt der Rohstoffreichtum große Bedeutung: Noch 1988 wurde in Altenberg Zinnerz mit einem Metallgehalt von 2500 Tonnen gefördert, was 1,2 Prozent der Weltjahresproduktion entsprach. Drei Jahre später wurde der Abbau eingestellt.

Mit Erzvorkommen gesegnet
Wo nun erneut mit der Förderung begonnen wird, ist offen. Wo freilich aussichtsreiche Erzvorkommen lagern, ist genau bekannt. Das Erzgebirge sei der »geologisch am besten untersuchte Landstrich der Welt«, sagt Uwe Lehmann, Referatsleiter beim Sächsischen Landesamt für Umwelt und Geologie (LfUG). Großen Anteil daran hat die im staatlichen Auftrag durchgeführte Erkundung in der DDR. Danach habe sich »15 Jahre lang kein Mensch mehr mit dem Thema befasst«, sagt Lehmann. Damit das gesammelten Wissen nicht verloren geht, begann man beim LfUG schließlich eine Publikationsreihe über die Erzlagerstätten im Erzgebirge zu erstellen – und stieß auf unerwartete Resonanz: Als 2006 der erste Antrag für die Erkundung einer Wolfram-Lagerstätte gestellt wurde, geschah das unter Berufung auf ein Heft der Reihe.

Nicht zuletzt, um Informationen für mögliche Investoren bereitzustellen, wird das Wissen über die Schätze des Erzgebirges nun im Auftrag eines von Firmen und Behörden gegründeten »Geo-Kompetenzzentrums« systematisch aufbereitet. Im Sommer soll das Ergebnis mit dem Titel »Rosa« (Rohstoffe Sachsen) vorliegen. Darin finden sich Angaben zu Lagerstätten ebenso wie Fachbeiträge über die Weltmarktsituation, wichtige Produzenten und die Entwicklung der Bergbautechnik. Eine derart systematische Erfassung der Daten, so Lehmann, gebe es »in keinem anderen Bundesland«. Insgesamt werden 136 Spat- und Erzvorkommen in ganz Sachsen aufgeführt. Vor allem das Erzgebirge sei »gesegnet mit Lagerstätten«.

Tatsächlich ausgebeutet werden dürften freilich auch künftig nur die wenigsten. Obwohl die Weltmarktpreise kletterten, bleiben viele Vorkommen unwirtschaftlich. So lagere im Erzgebirge zwar viel Eisenerz; weltwirtschaftlich sei die Menge aber ohne Bedeutung. Zudem bleibe selbst bei ergiebigen Vorkommen der Aufwand für die Erschließung teils immens: Bei der Erforschung der Kupferlagerstätten in der Lausitz wird pro Bohrung mit Kosten von einer bis drei Millionen Euro gerechnet. Ein »Hauptknackpunkt«, so Lehmann, werde die Aufbereitung des Erzes sein. Das bekräftigt auch GEOS-Geschäftsführer Horst Richter, der auf das Beispiel Zinnerz verweist: Das komme im Erzgebirge in drei verschiedenen Gesteinsarten vor. Bei einem »weiß man überhaupt noch nicht, wie man das Zinn herausholt«, bei einem anderen ist die Technologie noch nicht industriell erprobt worden. Für Lagerstätten, bei denen es Aussicht auf wirtschaftliche Förderung gibt, hätten sich aber Interessenten gefunden: »Die besten Claims sind verteilt.«

Neue Steiger werden schon ausgebildet
Im Erzgebirge weckt die Entwicklung große Erwartungen – nicht zuletzt auf wirtschaftlichen Aufschwung. In den Gruben, die dank neuer Technologien ohne Fördertürme und hässliche Abraumhalden auskommen werden, könnten jeweils Arbeitsplätze »in niedriger dreistelliger Zahl« entstehen, sagt Bergamts-Sprecher Horler; dazu kämen Stellen in Zulieferbetrieben. Das ist erfreulich – aber auch ein Problem, wie Fachleute einräumen: Weil der aktive Bergbau vor knapp 20 Jahren eingestellt wurde, gibt es kaum noch genügend erfahrene Steiger, die wieder ins Berufsleben zurückkehren könnten. Damit das neue Berggeschrey aber nicht an fehlenden Bergleuten scheitert, werden an einer Berufsschule wieder »Berg- und Maschinenmänner« ausgebildet, von denen die ersten 15 ihre Lehre bald abschließen. Binnen weniger Jahre kann daher im Erzgebirge zu Recht wieder gesungen werden »Glück auf! Der Steiger kommt.«

An den Bergbau im Erzgebirge erinnern derzeit nur Schaubergwerke.
An den Bergbau im Erzgebirge erinnern derzeit nur Schaubergwerke.
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