Hinter dem Rauchvorhang der Luftbrücke

Konrad Adenauers Triumph – von der Trizone zum Separatstaat

  • Norbert Podewin
  • Lesedauer: 5 Min.

»Noch keine Antwort aus Moskau«, titelte am 12. Juli 1948 der »Sozialdemokrat«. Die Berliner SPD-Zeitung nahm Bezug auf gleichlautende Protestnoten der drei Westalliierten, die drei Tage zuvor bekannt geworden sind. Darin warf man der Sowjetunion den Bruch gemeinsamer Beschlüsse vor. Es betraf die mit der Ankündigung der separaten Währungsumstellung in den Westzonen verfügte Sperrung des Personen- und des Güterverkehrs von und nach Berlin durch die Sowjets. Der darauf angeordnete östliche Geldumtausch bezog auch die Westsektoren Berlins ein, worauf die Westmächte per Gegenbefehl mit der Einführung von Westmark in der Stadt an der Spree antworteten, die vorsorglich schon dort gelagert war. Am 26. Juni 1948 wurde dann die Luftbrücke (»Operation Vittles«) gestartet. In Medien gefeiert als Durchbrechung der »Hungerblockade«, bestimmte sie fortan das Geschichtsbild.

Clay und Ölkonzerne waren zufrieden

Als Aufmacher erhielten auch die Leser des »Sozialdemokrat« den täglichen Lagebericht, der am 10. Juli besagte: »In den letzten 24 Stunden trafen in Berlin 383 Flugzeuge mit Lebensmitteln und Versorgungsgütern ein. In Gatow landeten 56 Dakotas und 79 Yorks. Auf der Havel gingen sieben Sunderland-Flugboote nieder. In Tempelhof landeten 241 amerikanische Transportflugzeuge, die 1130 Tonnen an Lebensmitteln, Kohle und wichtigen Gebrauchsgütern nach Berlin brachten. Seit Beginn der Luftbrücke ist dies der bisher größte Tagesrekord.« Ihr politisch-militärischer Initiator, US-Militärgouverneur Clay, hielt resümierend anderes fest: »Wir sammelten für militärische und zivile Zwecke unschätzbare Erfahrungen im Einsatz von Lufttransportmitteln. Die Kosten der Luftbrücke sind sehr wohl durch ihren Beitrag zur nationalen Verteidigung zu rechtfertigen.« (Lucius D. Clay, »Entscheidung in Deutschland«, 1950) Auch die auftragsüberhäuften US-Flugzeugbauer und Ölkonzerne waren mit ihren Bilanzen in Rekordhöhe rundum zufrieden.

Hinter dem so im west-östlichen politischen und publizistischen Dauerbeschuss entstandenen Rauchvorhang vollzog sich weitgehend unbeachtet nicht nur die Teilung Berlins. Zur zitierten Rekordmeldung gesellte sich der Aufmacher »Eindeutiger Vertragsbruch Moskaus« mit den ergänzenden Unterzeilen »Die Proteste der Westmächte/Verhandlungen nach Aufgabe der Blockade.« Sehr viel sparsamer war ein Bericht gehalten, der aus Koblenz mitteilte: »Trizone – aber kein Weststaat.« Leser erfuhren hier das Ergebnis einer Konferenz der westdeutschen Ministerpräsidenten. Die Teilnehmer »seien einstimmig zu der Überzeugung gekommen, dass der Zusammenschluss der drei westlichen Zonen zu einem einheitlichen Wirtschafts- und Verwaltungsgebiet unaufschiebbar sei. Diese Gebiete müssten eine Organisation erhalten, die eine Lösung der wirtschaftlichen und administrativen Probleme im Gesamtinteresse der Bevölkerung möglich mache.« Der CDU-Vorsitzende Konrad Adenauer, der mit Erich Ollenhauer (SPD) und Josef Müller (CSU) der Tagung beiwohnte, sah sich kurz vor dem ersehnten Ziel, das er bereits am 31. Oktober 1945 markierte: »Der nicht von Russland besetzte Teil Deutschlands ist ein integrierender Bestandteil Europas. Wenn er krank bleibt, wird das von schwersten Folgen für ganz Westeuropa, auch für England und Frankreich sein. Es liegt im eigensten Interesse nicht nur des nicht von Russland besetzten Teiles Deutschlands, sondern auch von England und Frankreich, Westeuropa unter ihrer Führung zusammenzuschließen, den nicht russisch besetzten Teil Deutschlands politisch und wirtschaftlich zu beruhigen und wieder gesund zu machen.« (Konrad Adenauer, »Erinnerungen 1945-1953«, 1965)

Am 15. Juli erfuhren »Sozialdemokrat«-Leser, dass die UdSSR Antwortnoten an die Westmächte überreicht hatte – ihr Inhalt »lässt auf die sowjetische Bereitwilligkeit zur Erörterung des Deutschlandproblems in seiner Gesamtheit auf Viermächtegrundlage schließen«. Doch zeitgleich konterkarierte das Blatt mit der Zeile »Festbleiben – unser einziger Weg« die sowjetische Bereitschaft und stellte eine Kundgebung mit dem britischen Außenminister Anthony Eden heraus, auf der Berlins SPD-Vorsitzender Franz Neumann den Westteil als »Vorposten nicht nur der Deutschen, sondern auch der europäischen Demokratie« benannt und gefolgert hatte: »Wir kämpfen nicht nur für Deutschland, wir kämpfen für eine bessere befriedete und demokratische Welt.«

Die SMAD teilte am 20. Juli über Flugblätter und Zeitungen mit: »Die Sowjetunion übernimmt die Versorgung der Bevölkerung ganz Berlins« – einzige Voraussetzung war die Anmeldung in einem Geschäft des Ostsektors. Die Möglichkeit wurde nur bedingt genutzt. Unterschiedliche Quellen geben Zahlen zwischen 21 000 und 100 000 Beziehern an – eine ständig politisch-medial geforderte Solidarität bewirkte gesellschaftlichen Druck. Organisierte östliche Proteste vor dem Neuen Stadthaus gegen die täglich spürbarer werdende städtische Trennung beantwortete Stadtverordneten-Vorsteher Otto Suhr mit der Forderung nach einer Bannmeile – was der für den Bezirk zuständige sowjetische Stadtkommandant ablehnte. Eine Demonstration bis in den Tagungssaal der Abgeordneten am 6. September 1948 nahm Suhr zum Anlass, die Sitzung in die »Taberna academica« am Steinplatz in Berlin-Charlottenburg zu verlegen – allein die SED-Abgeordneten verweigerten sich. Zeitgleich begann in aller Eile die stille Verlagerung der Behördensitze in den Westteil.

Verhüllt von der Berlin-Krise nahm der westdeutsche Teilstaat Kontur an: Ein von den Ministerpräsidenten eingesetzter Verfassungskonvent tagte vom 10. bis zum 23. August auf der Klosterinsel Herrenchiemsee und übergab den Entwurf zum Grundgesetz der künftigen Bundesrepublik Deutschland dem am 1. September in Bonn zusammengetretenen Parlamentarischen Rat. »Ihre grundsätzlichen Bedenken gegenüber einer westdeutschen Teilstaatenbildung schoben die Ministerpräsidenten jedoch beiseite, nachdem der US-Militärgouverneur Lucius D. Clay mit Konsequenzen für das eingeschlossene Berlin gedroht und der Berliner Oberbürgermeister Ernst Reuter darauf hingewiesen hatten, dass die befürchtete Spaltung Deutschlands bereits Wirklichkeit geworden sei«, schreibt Helmut H. Müller in »Schlaglichter der deutschen Geschichte« (1996).

Potsdamer Abkommen war nun Makulatur

Die sowjetische Seite gab im Frühjahr ihre Niederlage zu – die Westmächte würden weiter in Berlin präsent bleiben. Am 4. Mai 1949 unterzeichneten die vier ein Kommuniqué »über die Aufhebungen der Verkehrsbeschränkungen zwischen den Besatzungszonen und Berlin«. Darin wurde die Hoffnung suggeriert, ein Treffen der Außenminister werde ab 23. Mai in Paris stattfinden, »um Deutschland berührende Fragen sowie die Probleme zu erörtern, die sich aus der Situation in Berlin ergeben, darunter auch die Berliner Währungsfrage«. Die Konferenz tagte zwar termingemäß bis zum 20. Juni 1949, endete aber ergebnislos. Berlin blieb dauerhaft geteilt und besaß mit Friedrich Ebert (ab 30. November) und Ernst Reuter (ab 7. Dezember 1948) auch zwei Oberbürgermeister. Bereits am ersten Pariser Sitzungstag war das am 2. August 1945 in Potsdam von der Siegermächten unterzeichnete Potsdamer Abkommen – Deutschland als einheitliches Ganzes zu erhalten und »auf einer demokratischen und friedlichen Grundlage wieder aufzubauen« – zur Makulatur geworden. Zeitgleich verabschiedete an diesem 23. Mai in Bonn der Parlamentarische Rat unter Vorsitz Konrad Adenauers in Anwesenheit der drei Hohen Kommissare das Grundgesetz als Verfassung der Bundesrepublik.

Die Luftbrücke hatte in mehrfacher Hinsicht ihren Zweck erfüllt und wurde stufenweise zurückgeschaltet, ehe am 30. September 1949 »Operation Vittles« offiziell endete.

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