nd-aktuell.de / 17.07.2008 / Kultur / Seite 10

Zwischen den Zeilen hören

Im Kino: »Sportsfreund Lötzsch« fährt nochmal gegen das System

Oliver Händler

Alte Schwarz-Weiß-Bilder eines Radrennfahrers, der allein dem Feld enteilt. Langsam kommt Farbe ins Bild und Wolfgang Schoppe, der ehemalige Leiter der Betriebssportgruppe Aufbau Centrum Leipzig, sagt über den Radler Sätze wie: »Er konnte alles. Er konnte Berge fahren, er konnte Zeitfahren und sprinten konnte er auch. Er war begnadet.« Nein, dies ist kein Film über Jan Ullrich, kein Film über Doping, kein Film über Täve Schur, auch wenn die Filmemacher mit dem sicher provokativ gemeinten Spruch werben, dies sei »die Geschichte des besten Radfahrers der DDR«. Es ist ein Film über Wolfgang Lötzsch. Den kennen Sie nicht? »Eben drum«, würden die Regisseure Sandra Prechtel und Sascha Hilpert vielleicht antworten. Sie haben die Geschichte ausgegraben und bringen sie seit heute – pünktlich zur Tour de France – auf DVD und in einigen Kinos an das Publikum.

Lötzsch war in den 70er Jahren ein Ausnahmetalent, so viel darf mit Sicherheit behauptet werden. Er schlug in seinen Jugendjahren alle Gegner offenbar mit einer gewissen Leichtigkeit. »Ich wollte Friedensfahrer, Weltmeister und Olympiasieger werden«, sagt der heute 55-jährige Lötzsch, doch der Staat, »das System« (Lötzsch), hat das nicht gewollt, weil er nicht in die Partei eintrat. »Der L. ist politisch unklar und tritt gegen die ideologische Erziehungsarbeit der Trainer auf«, wird die Stasiakte zitiert. Lötzsch wollte nicht nur seinen Sport machen, wie es einige seiner Trainer im Film versichern. Er lehnte auch eine Mitgliedschaft in der SED ab, »weil ich mit einigen Dingen nicht einverstanden bin«. Lötzsch sollte aus diesem Grund nie Friedensfahrer, Weltmeister oder Olympiasieger werden.

Auch 2008 muss leider erwähnt werden, dass diese ostdeutsche Geschichte von westdeutschen Filmemachern erzählt wird. Das darf ihnen jedoch nicht vorgeworfen werden. Man bemerkt das Bemühen der Regisseure, nicht von oben herab zu urteilen. Etwas langatmig werden Akteneinträge aus dem Hintergrund scheinbar teilnahmslos vorgelesen, während der ältere Lötzsch in Chemnitz sein Auto wäscht oder eine Trainingstour durch Leipzig macht. Es wird darauf verzichtet, diese offen zu bewerten, doch das ostdeutsche Ohr ist geschult darin, zwischen den Zeilen zu hören. Dass Stasiakten nicht unkommentiert als Wahrheit stehen gelassen werden können, zeigte erst unlängst wieder die unsägliche Bundestagsdebatte um den vermeintlichen IM Gregor Gysi.

Es gibt trotzdem keinen Grund, daran zu zweifeln, dass Lötzsch aus politischen Gründen die Leistungssportförderung entzogen wurde und er nur noch in Betriebssportgruppen trainieren konnte, oder dass er nicht für die Olympischen Spiele in Montreal nominiert wurde, obwohl er die nationale Konkurrenz auf der Bahn in Leipzig bei der Qualifikation hinter sich gelassen hatte, oder dass sein Haus durchsucht wurde, um Hinweise auf eine mögliche Republikflucht zu finden. Auch seine Verurteilung zu zehn Monaten Freiheitsentzug, weil Lötzsch in einem Interview mit der »Süddeutschen Zeitung« Staatsverleumdung betrieben hätte, bleibt unbestritten.

All dies sind Zeugnisse für staatliche Schikane, keine Frage. Doch die Motive dafür bleiben einseitig von Lötzsch, seinen Trainern, Sportkameraden und Freundinnen beleuchtet. Immerhin schafften es Prechtel und Hilpert, den zuständigen MfS-Major Heinz Engelhardt vor die Kamera zu bringen, doch ihm merkt man an, nicht an geschichtlicher Aufklärung, sondern an persönlicher Rechtfertigung interessiert zu sein. An die interessantesten Details, warum etwa Lötzsch einer Personenkontrolle unterzogen wurde, mag – oder kann – sich der Major nicht mehr erinnern. Das sei wahrscheinlich zum eigenen Schutz des Athleten geschehen. Man habe ihm vor dem Einfluss des Westens schützen wollen, sagt Engelhardt sinngemäß – im gleichen Atemzug jedoch zugebend, dass es eher dem Schutz des Staates diente, da der politische Schaden einer erfolgreichen Karriere Lötzschs in der BRD »untragbar« gewesen wäre.

Die Gefängnishaft bricht Lötzschs Willen schließlich. Der Mann, der von sich behauptet: »Ich war immer in Opposition« gegen das System, will nun nicht mehr nur in Konfrontation leben. Er tritt in die SED ein, die Karriere auf dem Rad bleibt ihm trotzdem verwehrt, obwohl er weiterhin bei einzelnen Rennen alle Elitefahrer schlägt. So endet der Film etwas zu pathetisch mit einem in die Dunkelheit radelnden Lötzsch. Das macht die Geschichte nicht minder interessant. Sie war es wert, erzählt zu werden.