Europäische »Pioniere« für einen Tod in Würde

In den Benelux-Staaten existierten eindeutige Vorgaben

  • Tobias Müller, Amsterdam
  • Lesedauer: 3 Min.
Was in anderen EU- Staaten heftig diskutiert wird, ist in den Benelux- Staaten bereits Realität: eine gesetzliche Regelung der Sterbehilfe.

Als erster Staat der Welt erließen die Niederlande im April 2001 ein Gesetz zur aktiven Sterbehilfe – die im niederländischen Sprachraum im Übrigen ohne Assoziationen zum Dritten Reich »Euthanasie« genannt wird. 2002 trat die Regelung in Kraft. Seitdem fällt aktive Sterbehilfe zwar weiterhin unter das Strafrecht, ist jedoch unter bestimmten Bedingungen nicht mehr strafbar. Auf Verlangen eines unheilbar kranken und dauerhaft schwer leidenden Patienten kann ein Arzt dessen Leben beenden. Dieser Wunsch muss mehrfach frei geäußert werden, zudem muss der Mediziner über einen längeren Zeitraum mit dem Patienten im Gespräch sein, sich mit einem Kollegen beraten und nach dem Tod eine Kommission benachrichtigen. Diese besteht aus einem weiteren Arzt, einem Juristen sowie einem Ethik-Experten und kann gegebenenfalls die Staatsanwaltschaft einschalten. Die Niederlande untermauerten damit ihren Ruf als Vorreiter liberaler Ethik, wurden aber auch stark kritisiert. Gegner sprachen vom ersten demokratischen Staat, der das Töten legalisiere.

Im Mai 2002 verabschiedete auch die belgische Regierung ein Gesetz zur Sterbehilfe. Nach Ansicht von Fachleuten reicht dieses noch über das niederländische hinaus. Die Tötung auf Verlangen ist demnach auch für dauerhaft an einer psychischen Erkrankung leidende Menschen möglich, die körperlich nicht unheilbar krank sind. Dieser Passus war selbst innerhalb der Koalition aus Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen umstritten. Voraussetzung ist in jedem Fall eine mündliche oder schriftliche Erklärung und das Heranziehen eines zweiten Facharztes. Für die Einhaltung dieser Regeln ist eine 16köpfige Kommission zuständig, die jeweils zur Hälfte aus Medizinern und Juristen besteht. Allein im vergangenen Jahr wurden offiziell 495 Fälle von Sterbehilfe verzeichnet.

Seit Februar erlaubt auch Luxemburg Ärzten, unheilbar Kranken mit schweren Leiden Sterbehilfe zu leisten. Die Patienten müssen dies zuvor wiederholt schriftlich gewünscht haben. Jugendliche zwischen 16 und 18 können mit Zustimmung ihrer Eltern um Sterbehilfe ersuchen, bei Willensunfähigkeit ist eine Patientenverfügung erforderlich. Auch hier muss der Beendigung des Lebens eine Reihe von Gesprächen mit Ärzten vorausgehen, eine Kommission ist für die Aufsicht verantwortlich. Das Gesetz wurde mit einer knappen Mehrheit angenommen.

Die Benelux- Staaten mögen die Vorreiter einer gesellschaftlichen Entwicklung sein, die sich andernorts langsamer vollzieht. Entgegen den insbesondere im Ausland existierenden Vorstellungen sind die hier verabschiedeten Gesetze jedoch das Ergebnis heftiger Auseinandersetzungen. Obwohl die Sterbehilfe weiterhin von der Mehrheit der Bevölkerung in den Niederlanden wie Belgien unterstützt wird, sind die politischen Rahmenbedingungen verändert. Die sozialliberalen Koalitionen, die jeweils für die Initiative verantwortlich waren, sind durch die Rückkehr der Christdemokraten nicht mehr mehrheitsfähig. In den Niederlanden sitzt zudem mit der Christenunion eine Partei in der Regierung, die in Ethikfragen fundamentalistische Positionen vertritt. In Belgien gab es im Frühjahr heftige Diskussionen um eine mögliche Ausdehnung der Sterbehilfe auch auf todkranke Kinder. Ausgelöst wurden sie durch den Tod des an Alzheimer erkrankten Schriftstellers Hugo Claus durch »Euthanasie«.

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