Debattieren unter freiem Himmel

Zelten ist beliebt. Ursprünglich bei der Arbeiterschaft, heute vor allem bei linken Aktivisten

  • Birgit Gärtner
  • Lesedauer: 3 Min.
Urlaub machen und trotzdem nicht auf die Weltverbesserung verzichten: Jedes Jahr zieht es im Sommer Tausende vornehmlich junger Menschen zu einem der zahlreichen politischen Camps, die in allen Ecken der Bundesrepublik stattfinden.

Campen ist in: Attac, DIDF-Jugend, DBG-Jugend, antirassistische, Umwelt- und Friedensgruppen führen in diesem Sommer Zeltlager durch. Dabei greifen sie auf eine alte Arbeitertradition zurück, die Anfang des letzten Jahrhunderts entstand.

In der Weimarer Republik verbesserten sich die Lebensbedingungen der Arbeiterschaft erheblich, unter anderem gab es nun einen gesetzlichen Urlaubsanspruch. Ausflüge in die Natur gehörten bald zur favorisierten Freizeitgestaltung. Und auch das Campen kam damals auf und etablierte sich schnell als vergleichsweise billige proletarische Urlaubsform.

Jugendbewegungen greifen ebenfalls seit Langem auf diese einfache Art der Unterbringung zurück. Das erste Pfadfinderlager zum Beispiel gab es 1907 auf einer britischen Insel. In den 70er Jahren kamen Pfingstcamps groß in Mode. Gewerkschaftsjugenden und sozialistische Jugendverbände nutzten die freie Zeit Ende Mai, um sich in großen Gruppen an zentralen Orten zu treffen. Auf dem Programm standen Sport und Spiel, politische Diskussionen und Lagerfeuerromantik.

Im Grunde lädt jede linke Bewegung ihre Anhänger mindestens einmal im Jahr ein, gemeinsam die Zelte aufzuschlagen. Seit 1967 organisiert der Arbeitskreis »Blumen für Stukenbrock« am 1. September eine Gedenk- und Mahnveranstaltung auf dem sowjetischen Soldatenfriedhof in Stukenbrock bei Paderborn. Mitte der 70er Jahre kam es immer wieder vor, dass die Gedenksteine in der Nacht davor mit Hakenkreuzen beschmiert wurden. Ostwestfälische Jugendverbände begannen daraufhin, Zeltcamps in unmittelbarer Nähe des Friedhofs durchzuführen und Nachtwachen zu organisieren. Diese Tradition ist bis heute erhalten geblieben, ebenso die der Pfingstcamps.

Im Wendland gibt es alljährlich in der »fünften Jahreszeit«, wenn der Castor rollt, Protestcamps. Der Motorradclub »Kuhle Wampe« führt in diesem Jahr bereits sein 31. Sommertreffen auf einem Zeltplatz in Niedersachsen durch. Das wohl größte politische Zeltcamp fand vergangenes Jahr in Mecklenburg-Vorpommern anlässlich des G8-Gipfels statt. Für mehr als 15 000 Menschen gab es an den verschiedenen Orten in der Nähe von Heiligendamm Platz.

Vielfach ist es gar nicht so einfach, an geeignete Plätze zu kommen. In Heiligendamm wurde versucht, die Proteste zu unterbinden, indem öffentliche Plätze und Gebäude wie Schulen und Turnhallen nicht zur Verfügung gestellt werden sollten. Ähnliches wiederholt sich dieses Jahr in Hamburg. Die Organisatoren des politischen Aktionscamps der Klima- und antirassistischen Bewegung beklagen, dass die städtischen Behörden die Genehmigung des beantragten Platzes seit Wochen verzögerten. Hilfreich ist es, gute Kontakte zu Bauern in der Region zu haben. Die Camps im Wendland wären nicht möglich, wenn die Landwirte vor Ort nicht ihre Felder bereitstellten.

In diesem Sommer bietet sich wieder einmal reichlich Gelegenheit, politisch zu zelten. Attac führt die erste europäische Sommeruniversität in Saarbrücken durch, die DIDF-Jugend zeltet in Österreich, die DGB-Jugend am Bodensee, Umwelt- und antirassistische Gruppen in Hamburg und die Friedensbewegung in der Eifel. Sie alle wollen möglichst viele Menschen an einem Ort zusammenbringen, ein kostengünstiges Angebot machen und sich in der freien Natur aufhalten. Die Camps sind basisdemokratisch organisiert, selbstbestimmtes und gleichberechtigtes Handeln bilden die Grundlage dafür. Typisch: die täglichen Plena, bei denen Ankündigungen gemacht, Probleme kollektiv besprochen, Entscheidungen gefällt werden.

Neben politischen Diskussionen, Bedrucken von T-Shirts und Klampfen am Lagerfeuer gehen von den Camps stets auch gemeinsame Aktionen aus, die in der breiteren Öffentlichkeit Aufmerksamkeit erregen sollen. So soll dieses Jahr beispielsweise der Flughafen Hamburg blockiert werden, weil von dort aus regelmäßig Abschiebeflüge stattfinden.

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