Der 29. Mai 2008 war ein großer Tag für Südossetien. Die abtrünnige Republik beging den Jahrestag der Proklamation ihrer Eigenstaatlichkeit mit der Einweihung einer russischen Pipeline, die das Gebiet unabhängig von der Gasversorgung aus der georgischen Hauptstadt Tbilissi machen würde. Die Röhre über 163 Kilometer von der russischen Stadt Dzuarikau zur südossetischen Hauptstadt Zchinwali ist ein technisches Meisterwerk: Sie führt über die Gipfelketten des südlichen Kaukasus, teilweise in einer Höhe von 3000 Metern. Nirgends auf dem Globus gibt es eine Pipeline, die dem Himmel so nahe ist.
Die politisch-ökonomische Bedeutung ist immens: Während Südossetien bis dato für das georgische Gas 300 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter bezahlen musste, liegt der russische Preis für die selbe Menge nur bei 40 US-Dollar. »Das hilft uns, soziale Probleme zu lösen den Wiederaufbau der kriegszerstörten Wirtschaft zu beschleunigen«, freute sich Ruslan Bzarov, ein Ökonomieprofessor, bei der Eröffnung der Röhre.
Die Zeremonie wurde von einem Terroranschlag überschattet: In Zchinwali explodierte eine Autobombe vor einem Polizeigebäude. Sechs Mitarbeiter des Innenministeriums wurden verletzt. Der Wagen war in Georgien gekauft worden.
Obwohl der Konflikt zwischen Georgien und seinen abtrünnigen Republiken mindestens bis in die frühen neunziger Jahre zurückreicht, ist der Auslöser der aktuellen Eskalation jüngeren Datums. Sowohl die Sezessionisten in Südossetien wie in Abchasien nahmen die seit Herbst 2007 absehbare Abspaltung des Kosovos von Serbien zum Anlass, nun auch für ihre Territorien auf die Anerkennung der Eigenstaatlichkeit zu drängen. Tatsächlich sind die Mehrheiten für die Proklamation einer eigenen Republik im Falle der Separatisten in Georgien nicht geringer als bei denen in Serbien. Abchasen und Südosseten wird die Eigenstaatlichkeit nur deswegen vom Westen abgesprochen, weil sie – anders als die Albaner – Anlehnung an Russland und nicht an die USA suchen.
Mit der Proklamation der »Republika Kosova« Mitte Februar 2008 beschleunigte sich die Entwicklung im Kaukasus. Moskau hob Anfang März ein Abkommen aus dem Jahr 1996 auf, das es staatlichen Stellen untersagte, in wirtschaftliche Beziehungen mit den abtrünnigen Republiken in Georgien einzutreten. Am 16. April verfügte Wladimir Putin, damals noch Präsident, die Aufnahme von Hilfslieferungen und direkter Regierungskontakte .
Die Pipeline nach Südossetien ist nur ein Beispiel dafür, dass der russische Energieriese Gazprom im Rennen um die Vorkommen rund um das Kaspische Meere – nach denen des Persischen Golfes die zweitgrößten der Welt – die Nase vorne hat. Bis Ende der neunziger Jahre hatte Moskau die Kontrolle über den Westtransport von Öl und Gas, der von Baku (Aserbeidschan) über Dagestan und Tschetschenien zum russischen Schwarzmeerhafen Noworossisk führte. 1999 eröffnete ein westliches Konsortium eine vergleichbar dicke Konkurrenzleitung von Baku nach Supsa an der georgischen Schwarzmeerküste – unter Umgehung russischen Territoriums. Parallel unterbrachen tschetschenische Sezessionisten die russische Westroute, und als Russland einen Bypass durch Dagestan legte, versuchten die Sezessionisten im August 1999 auch dort Fuß zu fassen. Moskau schlug den Angriff zurück – das war der Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges, den Putin mittlerweile allerdings gewonnen hat.
Nach dem US-gesponserten Aufstieg von Michail Saakaschwili zum Präsidenten Georgiens Ende 2003 wurde 2005 unter Führung von British Petroleum die nächste westliche Pipeline eröffnet: von Baku über Tbilissi zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan. Diese sogenannte BTC-Trasse hat die zehnfache Durchleitkapazität der russischen Konkurrenzpipeline nach Noworossisk – ist jedoch kaum ausgelastet. Die Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres verkaufen ihr Gas nämlich lieber an die russische Konkurrenz als an BP, weil der Preis besser und die russischen Pipelines nach Westeuropa sicherer sind als die Tanker ab Ceyhan. Zudem arbeitet Gazprom mit Hochdruck an einer weiteren Röhre am Grunde des Schwarzen Meeres, die dann über Bulgarien, Serbien und Ungarn bis nach Österreich und Deutschland führen soll. Die letzten Verträge wurden dieses Jahr unterschrieben. »Nabucco«, das Konkurrenzprojekt der Europäischen Union, das unter anderem aus der BTC-Pipeline von BP versorgt werden soll, steht dagegen bislang nur auf dem Papier.
Vor diesem Hintergrund ist es für die West-Multis zwingend, die ökonomisch so erfolgreichen Russen mit militärischer Gewalt vom Kaspischen Meer abzudrängen. Nach den letzten Meldungen sieht es aber nicht so aus, als ob Moskau klein beigibt: Russische Einheiten haben die Grenze überschritten und bieten dem Angreifer Paroli. Die Schuld für diese Eskalation liegt jedoch bei Saakaschwili.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/133547.krieg-ums-kaspische-oel.html