»Flusskreuzfahrt« per Rad

Entdeckungsreise in Niedersachsen immer der Hase nach

  • Stephan Brünjes
  • Lesedauer: 6 Min.
Ein bisschen Kraft braucht man schon, um die Draisine in Gang zu halten.
Ein bisschen Kraft braucht man schon, um die Draisine in Gang zu halten.

Nanu, kenn' ich den Radler im roten Pulli? Ein Kollege vielleicht? Oder der neue Nachbar? Kaum ist diese Frage angegrübelt, stellt sie sich erneut – diesmal bei einer blonden Drahteselreiterin. Denn auch sie ruft uns im Vorbeifahren ein fröhliches »Moin« zu. Bei Nummer drei, ein paar Meter weiter, kapieren wir schließlich – das machen hier alle so. Und zwar nicht nur in der Früh, sondern zu jeder Tages- und Nachtzeit. Denn »Moin« heißt nicht etwa »morgen«, sondern kommt von »Moi«, was auf friesisch »schön« bedeutet. Dieser ebenso einsilbige wie optimistisch in die frische Landluft geflötete Zuruf steht für mehr als »schöner Tag heute«, das spürt der zugereiste Großstadtradler gleich: »Schön, dass du hergekommen bist« schwingt darin mit und vor allem: »schön radeln kann man hier bei uns«.

Vier-Gang-Entschleunigung
Ja, stimmt. Denn die Radwege im Hasetal im Nordwesten Niedersachsens sind nicht nur prima ausgebaut und beschildert, sie bieten auch kostenlose »Fern-Seh-Programme«: Drüben, auf dem gegenüberliegenden Ufer etwa betätigt sich gerade eine blökende Schafherde als XXL-Rasenmäher. Diesseits versucht ein Angler, der Hase einen Fisch zu entlocken, während rechts davon ein junger Hund als Tiefbauingenieur bei dem Versuch scheitert, einen Kaninchenbau per Schnauze aufzubohren. Expeditionen ins Tierreich, die bei den meisten Hasetalradlern für Entschleunigung sorgen. Von sieben Gängen des Tourenrads werden im Nu nur noch die ersten vier gebraucht. Man macht es »der Hase nach« und passt sich ihrer Zeitlupenfließgeschwindigkeit an.

Schon am zweiten Tag denkt keiner mehr dran, mit Rädern auf dem Autodach zu einem Tourstartpunkt zu brausen. Stattdessen in Löningen lieber »sutsche«, also gemütlich, mitsamt Rad in den historischen Dampfzug klettern. Der schnauft und schmaucht wie eine Zigarre auf Rädern Richtung Herzlake – hinein ins Grüne: Grasgrün, tannengrün, lindgrün, gelbgrün. Die Wiesen, Felder und Wälder in dieser Gegend zwischen Cloppenburg und Meppen sehen aus, als habe hier ein Riese eine grüne Patchworkdecke übers Land geworfen. Getrennt werden die Grünschattierungen nur durch schwarze Streifen – Straßen und Wege, die sich wie Nähte zumeist schnurgerade durchziehen und scheinbar weit wegführen von jeglicher Zivilisation.

Doch immer dann, wenn gerade erneut einer aus der Radlergruppe den Dauerkalauer aufwärmt, demzufolge sich genau hier nun aber wirklich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, genau dann taucht wieder einer dieser grandiosen Höfe auf, die nur in zigfachen Fußballplatzmaßen zu taxieren sind und statt mit »Muh« und »Mäh« mit handfesten Überraschungen aufwarten. Mit dem Niedrigenergiehaus etwa, erbaut fast nur aus Strohballen, Lehm und Holz, zu besichtigen auf dem Hof am Kolk in Angelbeck. »Am Anfang wars 'ne Lagerfeuerspinnerei zwischen einem Feriengast und mir«, erzählt Wilhelm Meyer, der Hofbesitzer und grinst. »Im nächsten Jahr kam der Gast – ein Architekt – wieder und hatte die Zeichnungen fertig.« Nun wohnen regelmäßig Gäste in dem solarbeheizten Dreiecksbau und Meyer soll demnächst für die nahegelegene Gemeinde Bippen sogar ein Bahnhofshäuschen aus Lehm und Stroh bauen.

Swin-Golf mit Gummiball
Ganz anders die Überraschung auf dem herrschaftlichen Gut Vehr bei Quakenbrück. Runter vom Rad, rauf aufs Grün heißt es hier. Jawohl, ohne Platzreife, ohne vorheriges Auswendiglernen des Golf-Knigge und auch ohne Tiger-Woods-Uniform. Denn hier wird nicht Golf, sondern Swin-Golf gespielt, eine aus Frankreich stammende Volksvariante des Etepetetesports. »Alles ist dabei viel einfacher und lockerer«, sagt Gutsherr Hans-Wilhelm Welker, »denn – mal ehrlich – Sie wollen doch nicht erst in drei Monaten auf den Platz, sondern nach drei Minuten.« Und wirklich, viel länger dauert es nicht. Erstens, weil es nur einen Schläger fürs Abschlagen und Einputten gibt. Zweitens, weil die Bälle aus Hartgummi und etwas größer sind als herkömmliche Golfkugeln, so dass man sie besser trifft. Und drittens, weil an den Zielfahnen keine Mauselöcher, sondern mittelgroße Blumentöpfe warten, in die selbst ungeübte Ersttäter schon mal aus vier Meter Entfernung treffen.

Statt dieser stählernen Postboten-Karren der Golfer ziehen die »Schlägertrupps« auf Gut Vehr Bollerwagen hinter sich her. Da passen nicht nur Rucksäcke, abgelegte Pullis oder Fotoapparate rein, sondern auch Constance Welkers Picknickplatten und eine gute Buddel des hiesigen Braunbieres. Kein Wunder, dass so manche Swin-Golf-Prozession aussieht wie ein Vatertagsausflug mit gelegentlicher Bälletreibjagd. Entsprechend geschmeidig ist die Regelauslegung: Kugel beim Abschlag nicht richtig getroffen? Dann war's eben 'n Probeschlag und zählt nicht.

Im Speichercafé von Gut Vehr zur Stärkung noch ein paar Golfbällchen auf dem Grün genießen – so heißen hier die Mettkügelchen serviert auf Gurke und Salat. Dann geht's wieder weiter auf dieser wunderbar entspannten »Flusskreuzfahrt« per Rad, denn alle paar Kilometer taucht die Hase wieder auf, lässt sich auf völlig bergetappenfreien Wegen queren und verschwindet wieder.

Auf »Dickie«-Jagd
An einer ganz besonderen Strecke allerdings geht's ausnahmsweise mal nicht der Hase nach: Bei der Tour per Draisine auf der stillgelegten Bahnstrecke zwischen Nortrup und Fürstenau. Klingt lustig, ist es aber nur, wenn man mit einer größeren Gruppe die sogenannte Club-Draisine mietet und sich beim Strampeln abwechseln kann.

Auf der angeblich leicht laufenden, viersitzigen Fahrrad-Draisine hingegen können nur zwei Passagiere gleichzeitig in die Pedale treten. Familienväter erfahren schon auf dem ersten von insgesamt acht Kilometern, dass ihre Kinder (»aua, meine Beine!«) dankend verzichten und sich eher aufs Anfeuern beschränken möchten. Also muss ein gemeinsamer Gegner her. »Die Dickies« zum Beispiel. So haben wir den kurz vor uns in einer Club-Draisine gestarteten, vollschlanken Kegelclub getauft. Ehrensache, dass es gilt, den »Dickies« ihren Vorsprung abzujagen. Dafür legen sogar die Kinder einen zwei Kilometer langen Strampelsprint auf die rostigen Schienen. Doch die »Dickies« legen auch was drauf: einen dicken Ast, den wir vor der Weiterfahrt erst mit vereinten Kräften runterziehen müssen. »Unfair«, wettert der Nachwuchs und erklärt die Verfolgung nach der Draisinentour noch nicht für beendet: »Los, Papa, die kriegen wir – immer der Straße nach!«

  • Infos: Hasetal Touristik GmbH, Langenstraße 33, 49624 Löningen, Tel.: (05432) 59 95 99, Fax: -98, E-Mail zeh@hasetal.de, www.hasetal.de

    Leihräder: Fahrradladen Löningen, Langenstraße 59, 6 Euro/ Tag, 30 Euro/Woche
  • Swin-Golf auf Gut Vehr: täglich außer dienstags, Tel.: (05431) 96 95 80, Erwachsene 9 Euro, Kinder bis 12 spielen kostenlos, Familien mit Kindern zwischen 13 und 18 Jahren für 21 Euro. info@gut-vehr.de
  • Draisinen-Touren: ab Bippen Richtung Nortrup oder Fürstenau. Die Strecken von acht bis zehn Kilometern bewältigt man in 90 bis 120 Minuten auf einer Fahrrad-Draisine. Unbedingt Proviant, vor allem Getränke mitnehmen. 8 Euro/Person, Kinder zwischen 5 und 12 Jahren zahlen die Hälfte.
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