nd-aktuell.de / 16.08.2008 / Politik / Seite 2

Raketenschild-Vereinbarung im kaukasischen Schatten

Propagandaschachzug des polnischen Präsidenten zeigte Wirkung

Julian Bartosz, Wroclaw
Polens Präsident Lech Kaczynski spielte in Georgien den Helden – und beschleunigte damit den Abschluss des Raketenschild-Abkommens mit den USA.

Nach eineinhalb Jahren dauernden Verhandlungen zwischen Polen und den USA ist am Donnerstagabend ein »Einleitendes Dokument zur Erklärung über die Einrichtung eines US-Antiraketenschildes in Polen« in Warschau paraphiert worden. Nach Meinung unabhängiger polnischer Militärexperten aus dem Europa-College in Natolin sei dies im »Kontext des Kaukasus-Konfliktes« zu sehen. Unter dem Eindruck der militärischen Geschehnisse in Georgien habe Polen bei seinen mit der Aufstellung des »Schildes« verbundenen zusätzlichen Forderungen nachgegeben und damit die Einigung forciert, heißt es in einem in hiesigen elektronischen Medien zitierten Artikel der »New York Times«. Das paraphierte Dokument sei Ausdruck einer für Polen besorgniserregenden Situation, was die USA zur Kenntnis genommen hätten. Daher werde für die Sicherheit Polens ständig eine US-Batterie »Patriot«-Raketen aufgestellt; in der für die nächsten Wochen geplanten Enderklärung soll eine Zusage zum sofortigen Beistand der USA im Falle einer Bedrohung Polens seitens »dritter Staaten« enthalten sein.

Die Paraphierung wurde zehn Stunden vor Beginn des »Tages der polnischen Armee« am 15. August vollzogen. Die diesjährige, mit üblicher Wachablösung vor dem Grab des Unbekannten Soldaten auf dem Pilsudski-Platz wie mit einer Militärparade organisierte Staatsfeier zu Ehren von Wojsko Polskie fand in einer ganz außerordentlichen politischen Großwetterlage statt. Staatspräsident Lech Kaczynski hob als Oberster Befehlshaber die symbolische Bedeutung des Datums für ganz Europa hervor. An diesem Tag wurde vor 88 Jahren in den Vororten von Warschau die gegen Westen ziehenden Rote Armee unter Michail Tuchatschewski durch die von Pilsudski befehligte polnische Armee aufgehalten und zurückgeschlagen.

Die politische Symbolik des diesjährigen »Tages der Armee« bestimmten nicht nur die Erinnerung an das »Wunder an der Weichsel«, das, versteht sich, nicht zufällig am Tag von Maria Himmelfahrt geschehen ist. Der georgisch-russische Krieg im Kaukasus, dem zuallererst die Wahrheit zum Opfer fiel, verlieh den Warschauer militärischen Feierlichkeiten einen ganz besonderen Charakter. Lech Kaczynski gelang es bekanntlich, einen politischen Entsatz für den georgischen Präsidenten Saakaschwili zu organisieren. Mit Staatsoberhäuptern aus den drei baltischen Staaten wie aus der Ukraine – aus Ländern, »die wie Polen unter der imperialen Knute Russlands und der Sowjetunion gelitten haben« – flog er nach Tbilissi, um »Solidarität mit dem aus dem Norden angegriffenen Georgien« zu bekunden. Dafür fand er in Polen breites Verständnis. Gleichzeitig rief er Europa auf, »den Kampf aufzunehmen«, was – nach Premier Donald Tusk – »als wenige Worte zu viel« bewertet wurde. Lech Kaczynski sei in Tbilissi nach Meinung von Vizemarschall Jerzy Szmajdzinski (SLD) nicht als Vermittler aufgetreten, sondern, wie er in »Trybuna« betonte, als »führender Vertreter der Russophobie«. Der polnische Staatspräsident sei nicht willens, den von seinem georgischen Freund mit dem Angriff auf Südossetien begangenen großen Fehler einzusehen. Widersprüchliche und zwielichtige USA-Einflüsse verleiteten ihn zum harten unverantwortlichen Poker, sagte der Politologe Aleksander Smolar in »Gazeta Wyborcza«. Derartige Meinungen sind aber derzeit in Polen selten.

Neuesten Meinungsforschungsergebnissen zufolge glauben zwei Drittel der Polen, dass durch das Auftreten von Lech Kaczynski mit einer rapiden Verschlechterung der Beziehungen mit Moskau zu rechnen ist. Europa wird ihn auch nicht verstehen. Er selbst ließ sich in einem Georgien gewidmeten Solidaritätskonzert im Museum des Warschauer Aufstandes als Held feiern und fühlt sich auch so. Sein entschlossener, hysterischer Aufruf an Donald Tusk, sofort mit den US-Amerikanern in der »Schild«- Frage einig zu werden, zeigte nun offensichtlich Wirkung.