Merkel bei gutem Wetter in Sotschi

Gegenüber dem russischen Präsidenten Medwedjew verzichtet die Kanzlerin auf scharfe Töne

  • Jürgen Elsässer
  • Lesedauer: 3 Min.
Bei ihrem Zusammentreffen am Freitag mit dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedjew überraschte Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ausgewogener Kritik.

Die Atmosphäre des Gipfeltreffens entsprach den meteorologischen Umständen im Schwarzmeerort Sotschi: Heiß, aber nicht hitzig. Eine frische Brise vom Strand hielt die Schwüle atlantischer Tiefausläufer fern.

Beim Gipfeltreffen mit dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedjew strafte die deutsche Kanzlerin alle Kritiker Lügen, die sie bis dato der blinden Gefolgschaft gegenüber dem US-Präsidenten verdächtigten. Ihre Kritik am Zurückschlagen des georgischen Überfalls auf Südossetien durch russische Truppen blieb jedenfalls maßvoll. Kein Wort von der »russischen Gefahr« (wie auf der Titelseite der aktuellen »Zeit«), kein Vergleich mit Prag 1968 (wie von US-Außenministerin Condoleezza Rice), nicht im entferntesten Anklänge an die Gleichsetzung des russischen Premiers Wladimir Putin mit dem deutschen Gröfaz Adolf Hitler (wie sie Zbigniew Brzezinski, der Sicherheitsberater von Präsidentschaftskandidat Barack Obama, betrieben hatte).

Zwei Kernsätze Merkels, die die Nachrichtenagenturen überlieferten, bündeln den Kern ihrer Botschaft: »Ich habe von meiner Seite die politische Botschaft gesagt, dass ich die Antwort Russlands, auch wenn man die Darstellung des Hergangs und der Entstehung nimmt, zum Teil für unverhältnismäßig gehalten habe oder halte.« Man beachte besonders die Worte »zum Teil«, die sich von einer Pauschalverurteilung im US-Stil deutlich absetzen. Weiter sagte sie: »Ansonsten glaube ich, dass es in einem solchen wirklich schwierigen Konflikt selten den Fall gibt, dass nur einer Schuld hat.«

Bemerkenswert auch Merkels Forderung, die russischen Truppen müssten sich »aus der Mitte Georgiens« zurückziehen. Damit hat sie die russische Militärpräsenz in den Republiken Südossetien und Abchasien stillschweigend, aber deutlich legitimiert. Dem Abzug aus Zentralgeorgien hat Moskau längst zugestimmt. Da Merkel gleichzeitig ein Bekenntnis zur territorialen Souveränität Georgiens ablegte und Moskaus Ablehnung des georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili als Verhandlungspartner »inakzeptabel« schalt, dürfte sie auch in Tbilissi, ihrer nächsten Reisestation, willkommen bleiben. Medwedjew parierte hart, aber ohne Zorn: »Nach allem, was geschehen ist, wird es für Abchasen und Osseten kaum noch möglich sein, in einem georgischen Staat zu leben.« Diesen Widerspruch dürfte das bilaterale Verhältnis verkraften.

Offensichtlich hat die Kanzlerin ihre Position zu Hause abgestimmt. Auch im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages überwogen am Donnerstag die moderaten Töne. Außenminister Frank-Walter Steinmeier betonte, es gehe »jetzt nicht primär um Schuldzuweisungen«, was auch vom außenpolitischen Sprecher der Unionsfraktion, Eckart von Klaeden, unterstützt wurde. Klaus Mangold, Chef des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, betonte am Freitag im »Handelsblatt« den Wert der Beziehungen zu Moskau: »In vielen globalen sicherheitspolitischen Fragen sind wir zur Partnerschaft verurteilt.« Dies gelte auch für die Energieversorgung. Selbst von indirekter Kritik an der westlichen Balkanpolitik ließ Mangold sich nicht abhalten: »Die Anerkennung des Kosovo war eine Zäsur, die auch in Südossetien und im Kaukasus wahrgenommen wurde.« Tagesthema Seite 2

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