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Ein Drittel geht bald in den Ruhestand

Gegen Bildungsnotstand: Hamburger GEW fordert jährlich 1000 neue Stellen für Lehrer

  • Lesedauer: 4 Min.
Klaus Bullan ist in Hamburg Landesvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Die Hansestadt könnte schon bald von einem massiven Mangel an Lehrern betroffen sein, befürchtet die GEW. Über das Problem sprach Ina Beyer mit dem Gewerkschaftsfunktionär.
Ein Drittel geht bald in den Ruhestand

ND: Um einem drohenden Mangel an Lehrkräften in der Zukunft entgegenzuwirken, fordert die GEW 1000 neue Lehrerstellen für Hamburg. Wonach haben Sie diese Zahl ermittelt?
Bullan: Nach Prognosen der Hamburger Schulbehörde geht mehr als ein Drittel aller Lehrkräfte in den nächsten sechs Jahren in den Ruhestand. Grund ist also die hohe Altersstruktur des Lehrpersonals. Um einen vollwertigen Ersatz zu schaffen, müssen bis 2014 jährlich 1000 neue Lehrer eingestellt werden.

Wie ist die derzeitige Situation an den Schulen: Sind die Auswirkungen der hohen Altersstruktur bereits spürbar?
Die Hamburger Schulbehörde errechnet den Bedarf an Lehrkräften anhand von Rahmendaten wie Klassengröße, Unterrichtsstunden und Arbeitszeit der Lehrer. Rein rechnerisch ist der Bedarf gedeckt. Er ist jedoch in den letzten Jahren ständig abgesenkt worden und zwischen 1000 und 1700 Stellen wurden seit 2003 bereits eingespart. Dies hat zu Qualitätsverschlechterung, Mehrarbeit bei den Lehrkräften und zu größeren Klassen geführt.

Nur noch jeder zweite Lehrer in Hamburg hat eine Vollzeitstelle. Wozu führt diese Entwicklung?
Die Konsequenzen sind dramatisch. Zwar ist ein Teil vor allem der Lehrerinnen freiwillig auf Teilzeit heruntergegangen, um sich etwa der Familie und der Kinderbetreuung zu widmen. Viele andere Kolleginnen und Kollegen jedoch halten gerade den aus der Arbeitsverdichtung der letzten Jahren resultierenden Stress nicht mehr aus und können daher nicht mehr Vollzeit arbeiten. Für sie alle bedeutet das deutliche Gehaltseinbußen. In der Altersversorgung werden sie daher massive Abstriche hinnehmen müssen. Wir befürchten, dass auch Lehrer von Altersarmut betroffen sein werden. Wegen der hohen Altersstruktur könnte dies schon sehr bald der Fall sein.

Die GEW fordert auch eine Aufstockung der Referendariatsplätze von derzeit 450 auf 1000 ...
Wir müssen den Nachwuchs, den wir brauchen, natürlich auch selbst ausbilden. Darauf zu setzen, dass andere Bundesländer Referendare ausbilden, die wir später in Hamburg als Lehrer einstellen können – diese Politik lehnen wir ab. Der Run auf Referendarsplätze in Hamburg ist groß. Auf die 450 freien Stellen bewerben sich etwa zehnmal so viele Bewerber. Die meisten werden also abgelehnt.

Wie sieht es auf dem Hamburger Arbeitsmarkt aus? Könnte der Bedarf auch mit arbeitslosen Kollegen gedeckt werden?
Die Statistiken erfassen jene Lehrer, die auch als Lehrer arbeitslos gemeldet sind. Zu ihnen kommen aber viele, die nach der Ausbildung zum Lehramt kein Referendariat bekommen haben oder in den letzten Jahren keine Stelle finden konnten und sich deshalb einen anderen Job – beispielsweise als Taxifahrer – gesucht haben. Ich gehe davon aus, dass es in Hamburg Tausende arbeitslose Lehrer gibt.

Hamburg ist das einzige Bundesland, das weder Altersentlastung noch Altersteilzeitregelungen für verbeamtete Lehrer vorsieht. Woran liegt das?
Die Altersermäßigung wurde im Jahr 2000 unter der damals noch rot-grünen Regierung abgeschafft. Begründet wurde dieser Schritt seinerzeit damit, dass den Kollegen ja die Altersteilzeit für Beamte zur Verfügung stehe. Diese fiel dann jedoch der nachfolgenden CDU-Regierung zum Opfer.

Ist die schwarz-grüne Regierungskoalition bereit, zumindest eine der Regelungen wieder einzuführen?
Wir haben darüber mit der Bildungsbehörde gesprochen. In dieser Legislaturperiode soll es demnach keine Entwicklungen in dieser Hinsicht geben. Wir halten das für äußerst problematisch, denn hinter Bremen haben wir in Hamburg jetzt schon die zweithöchste Altersstruktur bei den Lehrern. 55 Prozent der Kollegen bei uns sind älter als 50 Jahre. Genau diese Gruppe aber bräuchte die Regelungen zu Altersteilzeit oder Altersermäßigung.

Wie will die Schulbehörde ihrerseits dem drohenden Personalmangel entgegenarbeiten?
Bisher hat sich die Behörde dazu nicht geäußert. Ich bin mir nicht sicher, ob das Problem dort wirklich erkannt worden ist. Auf unsere Warnung vor dem künftigen Personalengpass entgegnete eine Senatssprecherin, sie halte die von uns ermittelten Zahlen für fraglich. Dabei stammen die Zahlen, die wir für unsere Berechnungen benutzt haben, von der Schulbehörde selbst.

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