Paris schweigt nicht mehr zu Maillé

Sarkozy ehrte Opfer des deutschen Massakers in dem französischem Dorf

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.
Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy entschuldigte sich bei den Bewohnern Maillés für das jahrzehntelange Schweigen der Regierungen zu dem von Deutschen angerichteten Massaker. Auch ein Staatsanwalt aus Düsseldorf war inzwischen in dem Dorf.

Der 25. August 1944 ist in die Geschichte eingegangen als der Tag der Befreiung von Paris durch die Truppen der Alliierten und der an ihrer Seite kämpfenden Einheiten des Freien Frankreich. Doch während auf den Champs-Elysées die Pariser den Soldaten zujubelten, spielte sich rund 300 Kilometer südwestlich der Hauptstadt noch ein schweres Kriegsverbrechen ab. Knapp 100 Soldaten einer deutschen Einheit besetzten das kleine Dorf Maillé unweit von Tours, trieben die Bevölkerung zusammen und ermordeten 124 Menschen – zumeist Frauen, Kinder und Greise. Es war wie in Oradour-sur-Glane, wo wenige Tage zuvor eine SS-Kompanie 642 Menschen erschossen, erschlagen oder in der in Brand gesteckten Kirche bei lebendigem Leibe verbrannt hatte. Doch während der Name Oradour zum Symbol für Kriegsverbrechen der deutschen Besatzer in Frankreich wurde, ging das Massaker von Maillé unter, bis heute erinnerte kein Schulbuch daran.

Nicolas Sarkozy, der am Montag zu einer Gedenkzeremonie nach Maillé gekommen war, hat in seiner Rede im Namen des Staates für das »schuldhafte Schweigen über dieses Verbrechen« um Entschuldigung gebeten. »Dass sich Frankreich dem Schmerz der Überlebenden gegenüber gleichgültig gezeigt und zugelassen hat, das die Erinnerung daran verblasste, ist ein moralischer Fehler, den wir wiedergutmachen müssen«, sagte Sarkozy. Er legte einen Kranz nieder am Denkmal für die Opfer. An der Zeremonie nahmen zahlreiche Nachfahren der Opfer und auch die etwa ein Dutzend heute noch lebenden Einwohner teil, die sich seinerzeit retten konnten.

»Als das Schießen anfing, sind wir aus dem Fenster geklettert, aufs Feld gelaufen und haben uns in Bodensenken versteckt«, erinnert sich Charlette Bernard, die seinerzeit 14 Jahre alt war. »Wir haben gehört, wie die Soldaten Maschinengewehrsalven auf Menschen abgegeben haben. Dann haben sie die Häuser zerstört.« Serge Martin, der zehn Jahre alt war und seine ganze Familie verloren hat, erklärt: »Ich denke jeden Tag daran. Nach solch einem Erlebnis kann man nicht mehr leben wie andere Menschen.«

Martin gehörte zu denen, die im Juli ihre Erlebnisse dem deutschen Oberstaatsanwalt Ulrich Maaß aus Düsseldorf geschildert haben. Der nordrhein-westfälische Chefankläger für NS-Verbrechen war nach Maillé gekommen, um zu Tätern und deren Motiven zu ermitteln, denn anders als in Frankreich verjähren in Deutschland Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht. Die Ermittlungen waren erst 1987 angelaufen, als die UNO Akten zu Kriegsverbrechen freigab.

Seit 2004 ermittelt Maaß. Inzwischen weiß man, dass 1952 ein Gericht in Bordeaux den deutschen Reserveleutnant Gustav Schlüter als Verantwortlichen für das Massaker in Abwesenheit zum Tode verurteilt hat. Er wurde jedoch nie behelligt und starb 1965 in Hamburg. Unklar sind die Motive für das Verbrechen. Vermutlich war es Rache für einen Anschlag französischer Widerstandskämpfer auf einen deutschen Konvoi.

Während seines ersten kurzen Aufenthalts in Maillé im Juli wurden dem deutschen Oberstaatsanwalt fünf Kartons voller deutscher Militärakten aus jener Zeit gezeigt, die noch nie gesichtet worden sind. Im November kommt Ulrich Maaß zurück nach Maillé, um die Ermittlungen vor Ort fortzusetzen. Dann will er auch weitere Zeugen hören.

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