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Durch eine kontrollierte Freigabe Athleten schützen

  • Gert G. Wagner
  • Lesedauer: 5 Min.
Durch eine kontrollierte Freigabe Athleten schützen

Doping, d. h. der Einsatz von Medikamenten und Therapien, die nur der Leistungssteigerung dienen, nicht aber der medizinischen Behandlung von Sportlern, widerspricht dem »sportlichen« Gefühl eines jeden Sportfans. Und ungesund ist Doping in den meisten Fällen auch. Deswegen kann man eigentlich nicht für die Freigabe von Doping sein – auch der Autor dieses Beitrags ist gefühlsmäßig gegen Doping. Bei realistischer Analyse muss man aber leider erkennen, dass das jetzige Dopingverbot nicht funktioniert: weder im Hinblick auf sauberen Sport noch im Hinblick auf die Gesundheit der Athleten. Die wenigen Doping-Sünder, die in Peking enttarnt wurden, sind kein Beweis für die Funktionstüchtigkeit des Doping-Kontrollsystems. Denn Wettkampfkontrollen kommen in der Regel zu spät.

Aber selbst weltweit flächendeckende Trainingskontrollen würden nicht wirklich weiterhelfen, denn die Suche nach immer neuen Doping-Methoden gehört zu den konstituierenden Merkmalen des Leistungssports. Man kann es nicht durch Verbote verhindern, sondern seine Konsequenzen – wenn überhaupt ein Kraut gewachsen ist – nur durch eine Freigabe einzudämmen versuchen, die freilich strikt kontrolliert werden muss.

Ausgangspunkt der Analyse ist, dass jeder Sportfan es für unsportlich hält, wenn das Ergebnis eines Sport-Wettkampfs durch Medikamente oder medizinische Methoden zum Zwecke der Leistungssteigerung »verfälscht« wird. Diese intuitive Doping-Definition entspricht auch der abstrakten juristischen Definition. Nur hilft sie nicht weiter, denn Hochleistungssport ist ungesund und alle Athleten befinden sich ständig in ärztlicher Behandlung. Deswegen wurde die »Doping-Liste« erfunden. Sie besagt schlicht und einfach: »Doping ist, was auf der Liste steht«. Wem nachgewiesen wird, dass er etwas genommen oder anwendet hat, was gelistet ist, der wird als Doper bestraft. Das heißt aber gleichzeitig auch: Wer sich etwas anderes einfallen lässt, der kann nicht bestraft werden. Und genau das geschieht im Wettkampfsport: Athleten und Trainer sind ständig auf der Suche nach Mitteln und Methoden, die nicht auf der Liste stehen. Oder die zumindest nicht nachgewiesen werden können.

Weil Leistungssport nicht nur Selbstdisziplin bedingt, sondern traditionell auch Grenzüberschreitung fordert, wirkt die Doping-Liste so verheerend: Athleten können kein Unrechtsbewusstsein haben, wenn sie grenzwertig agieren, denn das gehört zum Wettkampf-sport konstitutiv dazu. Es gibt ein Regelwerk, an dessen Grenzen und darüber hinaus man systematisch geht. Zum Beispiel in Kampfsportarten wird ständig unfair gespielt. Und wenn man erwischt wird, wird man halt bestraft, ohne dass das normalerweise als unsportlich angesehen wird. Das Fatale am Doping ist, dass es – anders als Foulspiel – nicht unmittelbar erkennbar ist.

Wegen der Definitions-Unklarheiten erscheint es Athleten als ganz normal, an die erlaubten Doping-Grenzwerte »heranzugehen«. Deswegen gilt zum Beispiel Eigenblutdoping, dass nicht direkt, sondern nur durch auffällig dickes Blut indirekt erkennbar ist, als Kavaliersdelikt. Zumal derselbe Effekt im Prinzip auch durch Höhentraining erreichbar ist. Aber das ist aufwändig und teuer. Deswegen kann man einem Athleten nicht klar machen, dass derselbe Effekt einmal erlaubt und einmal als unfair verboten sein soll. Viele Athleten sagen ja auch nicht »Ich habe niemals gedopt«, sondern sie sagen lediglich »Ich habe nie etwas genommen oder gemacht, was auf der Verbotsliste steht«. Und das zentrale Argument der Doping-Gegner, dass Doping gesundheitsschädlich sei, klingt in den Ohren von Athleten wie der reine Hohn: Denn Hochleistungssport ist per se ungesund. Die Athleten spüren das an jedem Trainings- und Wettkampftag.

Die Analyse bedeutet (mindestens) zweierlei. Das Doping-Verbotssystem hat keine belastbaren ethischen Grundlagen und es ist zudem noch in seiner praktischen Ausformung schlecht durchdacht. Die Verbots-Liste wird auf immer und ewig einen Anreiz setzen, sich etwas Neues einfallen zu lassen. Faktisch lautet das zentrale Gebot »Du sollst Dich nicht erwischen lassen«. In keinem anderen Lebensbereich wird die »Goldene Regel«, die es in allen Kulturen dieser Welt gibt, so systematisch verletzt wie im Leistungssport: »Was Du nicht willst, das Dir man tue, das füg auch keinem anderen zu«. Bevor sich dies die Sportpädagogen, Funktionäre und Medien nicht eingestehen, wird es beim wichtigsten Problem des Spitzensports kein Wende zum Besseren geben, nämlich einen besseren Schutz der Gesundheit der Athleten zu erreichen. Dazu gehören nicht nur ein sportgerechter pragmatischer Umgang mit Medikamenten und Therapien für sich ständig in ärztlicher Behandlung befindlichen Athleten, sondern auch gesundheitsfreundlichere Wettkampfregeln.

Will man die Athleten vor Medikamentenmissbrauch schützen, dann muss die Heimlichkeit ärztlicher Leistungshilfen und von Selbsttherapien aufhören. Und vor allem muss der Anreiz vermindert werden, sich immer neue Wundermittel einfallen zu lassen. Diese werden auch immer gefährlicher, da die bekannten Dopingmethoden ja schon auf der Verbotsliste stehen. Wenn man nicht alle Medikamente und Therapien auf die Liste setzen will (was ja offenkundig auch nicht geht), dann hilft nur eine Freigabe des Dopings. Dann können Ärzte zum Beispiel auf Kongressen offen darüber reden und gesundheitlich optimale Methoden können entwickelt werden.

Um unkontrollierten Medikamentenmissbrauch und den Anreiz zum Finden neuer Methoden zumindest zu verkleinern, sollten alle Athleten obligatorische Medikamentenpässe führen, die veröffentlicht würden und von Sportjournalisten, die rasch sachkundig wären, kommentiert würden. Dann könnten Zuschauer und die werbetreibende Industrie durch Nicht-Beachtung steuern, dass Athleten den Medikamentenmissbrauch nicht übertreiben. Kontrolliert werden müsste weiterhin, damit die Pässe ordentlich geführt und diejenigen, die heimlich neue Methoden, die sie nicht in ihrem Pass deklarieren, anwenden, als unfaire Trickser von ihrem Sportverband bestraft würden.

Ob die vorgeschlagene Reform wirken würde, ist offen. Sie ist aber im Interesse der Gesundheit der Athleten einen Versuch wert, denn das jetzige Doping-Verbotssystem wird niemals so funktionieren wie Sportfans, Sportpädagogen und Sportpolitiker sich das vorstellen.

Prof. Dr. Gert G. Wagner, 1953 geboren, ist Lehrstuhlinhaber für Volkswirtschaftslehre an der TU Berlin und zur Zeit Fellow am Max Weber Institut der Universität Erfurt. Am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) leitet er die Längsschnittstudie SOEP. Wagner analysiert seit Anfang der 90er Jahre Doping aus sozial- und wirtschaftswissenschaftlicher Sicht und hat dazu in nationalen wie internationalen Zeitschriften publiziert.

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