Die Deutsche Bank grast »Gottes eigenes Land« ab

Kreditinstitut profitiert von Zwangsversteigerungen im Zuge der Immobilienkrise in den USA

  • Max Böhnel, Cleveland
  • Lesedauer: 7 Min.
Die Immobilienkrise in den USA zieht immer weitere Kreise. Als Krisengewinnler mitten dabei: die Deutsche Bank. Sie verwandelt ihre Rolle als Treuhänder von verbrieften Anlagen in klingende Münze.
Bürgermeister Frank Jackson hat es mit der Wall Street aufgenommen.
Bürgermeister Frank Jackson hat es mit der Wall Street aufgenommen.

Slavic Village, ein Stadtteil rund drei Kilometer vom Zentrum Clevelands entfernt. Bescheidene Einfamilienhäuser mit grünen Vorgärtchen, die durch Gehsteige von der sauber asphaltierten und von Bäumen bestandenen Straße getrennt sind. Auf den ersten Blick ein US-amerikanisches Vorstadtidyll. Auffällig auf den zweiten Blick: an manchen Häusern, nach außen hin gut erhalten, sind die Fenster im Erdgeschoss mit Brettern vernagelt. Die Mittdreißigerin Melissa Der-Ali, die vor einem halben Jahr in eines der besser aussehenden Häuschen eingezogen ist, hat gerade einen Müllsack in die Tonne geworfen. Die Idylle, sagt sie, sei trügerisch. Schon am dritten Tag hätten ihr Unbekannte ein Fenster an der Straßenseite eingeworfen, »Leute, die wohl dachten, dass hier niemand wohnt und plündern wollten.« Als sie das Licht anmachte, seien sie schnell wieder abgehauen.

Konjunktur hat nur der Schrottdiebstahl

Nächtlicher Schrottdiebstahl aus leerstehenden Häusern ist einer der wenigen blühenden Geschäftszweige in Cleveland – Kupferrohre von Wasserleitungen etwa oder gleich ganze Seitenverkleidungen aus Aluminium. Für Metallschrott werden auf dem Markt zur Zeit Höchstpreise bezahlt. Vier Häuser weiter sind die Auswirkungen der Hypothekenkrise, die Cleveland heimsucht, deutlich sichtbar: Die Seitenverkleidung ist abgerissen, hinter den verwitterten Holzbohlen quillt die Glaswolle hervor, die als Isolationsmaterial diente. Verbogene Dachrinnen hängen bis auf den Boden, die Haustür und sämtliche Fenster sind mit Brettern vernagelt. Ganz offensichtlich eine sogenannte »foreclosure«, eines der Tausenden von gepfändeten Häusern in Cleveland, die sich selbst überlassen wurden und, so hoffen die Anwohner, möglichst bald abgerissen werden, damit die sinkenden Grundstückspreise nicht noch mehr in den Keller gehen.

Krisenanfällig war das Slavic Village wie der Rest Ohios in den letzten 15 Jahren allerdings immer. Denn die Stahlwerke, das Rückgrat der hiesigen Wirtschaft, machten eins nach dem anderen dicht und hinterließen Arbeitslose. Die Boomzeiten vor sieben, acht Jahren, als man Kreditzinsen knapp über der Inflationsrate bekam, halfen dem Viertel noch einmal über die Krise hinweg – bis das Kreditkartenhaus zusammenbrach. Die Barkville Street, eine Straße im ältesten Teil von Slavic Village, und ihren Nebenstraßen sind völlig heruntergekommen: Brandruinen, halb abgerissene Häuser, Gebäude ohne Türen und Fenstern.

Fast alle Häuser sind unbewohnt. Die Immobilie Barkwill Street 4917 gehört der Deutschen Bank. Die Außenverkleidung ist heruntergerissen, wahrscheinlich sind innen auch die Wasserrohre geklaut worden. Vermutlich stehe auch der Keller unter Wasser, erklärt der Stadtrat Tony Brancatelli, der sich zur Lagebesichtigung bereiterklärt hat: »In der Regel drehen die Diebe den Haupthahn vorher nicht ab.« Eine Bruchbude wie fast alle Häuser in dieser Gegend – abbruchreif –, und wie viele in Cleveland steht die Deutsche Bank als Besitzer oder Treuhänder im Grundbuch.

Hypotheken lasten auf dem Sozialgefüge

Brancatelli klagt, das Viertel gehe nicht wegen der Arbeitslosigkeit, wegen Scheidung oder Krankheit – typischen Gründen für Pfändungen und Zwangsversteigerungen – kaputt, sondern wegen »betrügerischer Hypotheken und gefälschter Darlehen. Das Haus hier, vor dem wir stehen, wurde der Person, die es kurz besaß, zum vierfachen Wert des eigentlichen Kaufpreises verkauft.« Brancatelli hat die entsprechenden Unterlagen mitgebracht und zieht sie aus seinem Aktenordner heraus. Im Slavic Village leben rund 30 000 Menschen, die tagtäglich an ungefähr 1000 Ruinen – vernagelt, verfallend, abbruchreif – vorbeifahren müssen. Mit den Grundstückspreisen sinken die Steuereinnahmen und damit wird ein wichtiger Teil der örtlichen Wirtschaft zerstört. Noch weniger Geld im Stadtsäckel – das bedeute »eine öffentliche Katastrophe«, klagt der Stadtrat, »Schulen, Straßen, Infrastruktur, das wird in den kommenden Jahren nicht mehr zu bezahlen sein.«

»Deutsche Bank« steht auf keinem der Schilder vor den verfallenden Immobilien. Stattdessen »for sale«, eine Telefonnummer und das Logo einer örtlichen Immobiliengesellschaft. Die »Deutsche Bank« hat in Cleveland wie auch im restlichen Ohio nicht einmal eine Geschäftsadresse. Trotzdem taucht ihr Name in den Grundbüchern auf, als Treuhänder von verbrieften Anleihen. Die inzwischen pleite gegangene Hypotheken-Brokerfirma »Argent« hatte einzelne Kreditverträge zu gigantischen Paketen mit zehntausenden von Forderungen gebündelt und diese an die Deutsche Bank mit Sitz an der New Yorker Wall Street als Treuhänder weitergereicht.

Die Deutsche Bank ist einer der Hauptgläubiger im Nordosten Ohios und grast den dortigen Immobilenmarkt ab. Der Name war dem Computer- und Finanzexperten Bill Callahan aus Cleveland schon vor einigen Jahren aufgefallen. Seitdem veröffentlicht er wöchentlich in seinem Weblog www.callahansclevelanddiary.com die neuesten Schreckensmeldungen von der Pfändungsfront. Die Bank mit dem Frankfurter Hauptquartier und dem »guten Namen« an der Wall Street, sagt Callahan, sei neben Altbekannten wie »Wells Fargo« aus Kalifornien oder »Bank of New York« überall in den offiziellen Dokumenten über Pfändungen vertreten. Die Banker bestreiten natürlich, irgend etwas in Cleveland zu besitzen. »Rein technisch gesehen stimmt das natürlich«, räumt Callahan ein, denn die Bank habe nur die Treuhänderschaft für Investorengruppen übernommen. Faktisch aber, führt er weiter aus, »spielen die Deutschen beim Niedergang von Cleveland eine erhebliche Rolle.« Sie sei die »größte Gläubigerbank mit Zwangsvollstreckungsverfahren in ganz Cleveland«.

Am Anfang der schwer durchschaubaren Kette der Geschäfte mit den Billighypotheken standen Darlehen, die Kreditanstalten vergeben hatten, ohne die Einkommenslage der Schuldner zu prüfen. Großbanken wie die Deutsche Bank kauften dann ganze Darlehensbündel, verwandelten sie in Wertpapiere und warfen sie auf den Immobilienmarkt – der wegen dieser vielen faulen Kredite nach kurzem Boom zusammenbrach. Bill Callahans sagt: »Wenn dein Name überall draufsteht, dann erzähl mir nicht, dass du nicht verantwortlich bist. Wenn mein Name mit meiner Zustimmung auf einem privaten Vertrag steht, dann kann ich mich auch nicht aus der Verantwortung stehlen.«

Ortswechsel ins Geschäftszentrum von Cleveland: imperiale Architektur direkt am Erie-See. Der Stadtkämmerer Jim Rokakis ist in seinem Büro sofort zu sprechen. Aus seiner Wut auf die Abzocker macht der alteingesessene Clevelander keinen Hehl. Die Immobilienkrise sei »ein Ungeheuer mit tausend Köpfen, und die Deutsche Bank ist einer der größten«. Aus dem Bezirk seien in den letzten sieben Jahren 93 000 Menschen abgewandert. Rokakis geht sogar so weit, Cleveland mit New Orleans zu vergleichen. »Nur New Orleans hat in den USA mehr Menschen verloren, und das war die Folge von Hurrikan Katrina. Wir hatten und haben die Banken.«

Sammelklage gegen Investmentbanken

Der Stadtkämmerer hat eine Sammelklage mit initiiert, die Anfang dieses Jahres international Schlagzeilen machte, als die Stadt Cleveland eine 28-seitige Klageschrift gegen 21 Investmentbanken einreichte. Die Wall-Street-Banken, darunter auch die Deutsche Bank, hätten den Kreditverleihern aus Cleveland jahrelang die Hypotheken aus den Händen gerissen, heißt es darin sinngemäß. Unweit von Rokakis Büro residiert der Bürgermeister Frank Jackson, der es an vorderster Stelle mit der Wall Street aufgenommen hat. Die Spekulationsgewinne seien auf Kosten von Familien und Gemeinden erwirtschaftet worden, schimpft Jackson. Der Schaden sei »verheerend, es geht um mehr als eine halbe Milliarde Dollar an Zwangsversteigerungen«. Die Banken, führt er aus, hätten von dem System profitiert, das sie selbst ausgetüftelt hatten. Ein Beweis dafür, dass es sich um eine Anlagestrategie handelte? Nun, wie sonst komme es, dass sie alle in dem Moment, als der Markt einbrach, sofort beschlossen, diese Billighypotheken nicht mehr zu bündeln, gibt Jackson als Antwort. »Über den Kapitalismus an sich und die Deutsche Bank im Besonderen will – und kann – sich Bürgermeister Jackson gegenüber der Presse nicht äußern. Er argumentiert moralisch, und ob die von der Stadt beauftragten Anwälte nachweisen können, dass sich die Banken Cleveland wissentlich als Ziel für ihre »Pakete« herausgesucht haben, sei fraglich. Die Klage der Stadt gegen die 21 Großbanken befindet sich noch in der Vorbereitungsphase. Eine endgültige Entscheidung wird erst in eineinhalb bis zwei Jahren fallen. Parallel dazu gehen auch Privatkläger gegen die Banken vor, was – so der Blogger Callahan – »zu einem Dammbruch führen könnte, ähnlich wie bei den Klagen gegen die Tabakindustrie, die Milliarden von Dollars auszahlen musste. Denn es gibt hier in Cleveland Tausende, die übers Ohr gehauen wurden.« Wenn er die Deutsche Bank wäre, meint Callahan, wäre er »sehr, sehr besorgt«.

Abrisshaus in Slavic Village, einem Stadtteil Clevelands (Ohio).
Abrisshaus in Slavic Village, einem Stadtteil Clevelands (Ohio).
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