Völkerrechtskonform und friedensstiftend

  • Jürgen Elsässer
  • Lesedauer: 4 Min.
Jürgen Elsässer, 1957 geboren, ist seit April dieses Jahres regelmäßiger Autor dieser Zeitung. Er arbeitete früher als Redakteur bei der Tageszeitung »junge Welt«, der Monatszeitschrift »konkret« und war an der Gründung der Zeitungsprojektes »Jungle Word« beteiligt. Außerdem war Elsässer Mitarbeiter der Linksfraktion für den BND-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags. In Kürze erscheint von ihm das Buch »Terrorziel Europa: Das gefährliche Doppelspiel der Geheimdienste«.
Jürgen Elsässer
Jürgen Elsässer

Der 8. August 2008 war eine entscheidende Zäsur für die Weltpolitik, vergleichbar mit dem 9. November 1989 und dem 11. September 2001. Der nächtliche Terrorangriff Georgiens auf Südossetien markiert den Versuch der brutalsten Kräfte im NATO-Pakt, nach den Aggressionen gegen muslimische Staaten in den vergangenen Jahren eine zweite Front zu eröffnen – gegen Russland. Dass Moskau zur Verteidigung der Angegriffenen noch am selben Tag Truppen schickte und die Invasoren binnen Kürze verjagte, symbolisiert das Scheitern dieser Absichten. Für die USA war es ein Debakel wie die Schweinebucht-Invasion auf Kuba 1961.

Die Hetze der etablierten Parteien einschließlich der Grünen und der nahezu gleichgeschalteten Medien erinnert an die finstersten Tage des Kalten Krieges. Umstandslos werden russische Panzer in der georgischen Stadt Gori mit sowjetischen Panzern in Prag vor 40 Jahren gleichgesetzt. Kein anderer als Peter Scholl-Latour, in den Zeiten der Systemkonfrontation immer ein zuverlässiger Antikommunist, machte bei »Maischberger« auf den riesigen Unterschied aufmerksam: »In Ossetien kamen die Russen nicht als Feinde, sondern als Befreier!« Und auch der letzte SU-Präsident Michail Gorbatschow, den weder Freund noch Feind mit der Politik seiner Vorgänger identifizieren, wies im US-Fernsehen solche Vergleiche zurück: »Das sind alles Lügen, vom Anfang bis zum Ende. (...) Es besteht kein Zweifel, dass Georgien das alles angefangen hat. (...) Auf diesen ersten Schritt von Georgien mussten zusätzliche (russische) Truppen nach Südossetien geschickt werden.«

Solche glasklaren Positionen sind aus der Linkspartei selten zu hören. Stattdessen winden sich einige im Einerseits-Andererseits, nur um nicht in den Geruch der Moskau-Nähe zu kommen. So schrieb Helmut Scholz, Mitglied des Parteivorstandes und Leiter des Bereichs Internationale Politik: »Die Anwendung militärischer Gewalt von georgischer wie von russischer Seite war und bleibt gleichermaßen rechtswidrig, unverhältnismäßig und zur Beilegung des bestehenden Konfliktes ungeeignet.« Das Papier stammt vom 18. August, zehn Tage nach Kriegsbeginn. Zu diesem Zeitpunkt hätte Scholz wissen müssen, dass Russen und Georgier keineswegs »gleichermaßen« vorgegangen waren. Nur Letztere hatten – nach vorheriger betrügerischer Ausruf- ung eines Waffenstillstands – Städte und Dörfer mit modernisierten Stalinorgeln eingeäschert; nur Letztere hatten die Russen in der GUS-mandatierten Friedenstruppe gezielt unter Beschuss genommen; nur Letztere hatten bei ihrem Vormarsch Kirchen, in die sich Zivilisten geflüchtet hatten, angezündet und in Keller, wo die Verängstigten Unterschlupf gesucht hatten, Handgranaten geworfen. Die Südosseten sprechen von 1692 Toten, die Georgier zählten 143 Opfer im Militär und 73 unter Zivilisten.

Auch Norman Paech, der verdiente Völkerrechtler in der Bundestagsfraktion der LINKEN, führt den Leser in die Irre, wenn er das russische Eingreifen als »eine klassische ›humanitäre Intervention‹« definiert, »die sich jedoch nach all den Diskussionen um die Bombardierung Ex-Jugoslawiens im Frühjahr 1999 aus ›humanitären‹ Gründen auf sehr dünnem völkerrechtlichen Eis bewegt«. Paech ignoriert dabei, dass zum Zeitpunkt des NATO-Angriffs 1999 Kosovo noch ein integraler Bestandteil eines souveränen Staates war, während Südossetien seit 1992 eine international garantierte De-facto-Eigenständigkeit genoss. Diesen Status erhielt Kosovo erst nach dem Sieg der NATO über Jugoslawien. Ab Juni 1999 gehörte Kosovo de jure immer noch zu Serbien wie Südossetien zu Georgien, aber in beiden Fällen wurde die Proto-Staatlichkeit durch völkerrechtlich mandatierte Truppen gesichert. Man stelle sich einen Augenblick vor, was geschehen wäre, wenn Serbien seinen Rechtsanspruch auf Kosovo in der Folge so artikuliert hätte wie Georgien auf Südossetien. Wie selbstverständlich hätte die NATO zurückgeschlagen, und Belgrad wäre bestimmt nicht so geschont worden wie Tbilissi.

Besser als Paech bringt die Sache Daniel Erasmus-Khan auf den Punkt, laut »Spiegel« einer der renommiertesten deutschen Völkerrechtler. Immerhin vertrat er die Bundesrepublik Deutschland bereits vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Der »Spiegel« fragt: »Russland (...) durfte also Südossetien zu Hilfe eilen, obwohl es noch Teil Georgiens ist?« Antwort Khan: »Ja. Ein solches kollektives Selbstverteidigungsrecht greift grundsätzlich auch zugunsten von De-facto-Regimen.« Der »Spiegel« bohrt weiter: »Mit der Bombardierung des Flughafens von Tiflis, des Hafens der georgischen Stadt Poti am Schwarzen Meer oder dem Vormarsch auf georgisches Gebiet hätte Russland (...) auf jeden Fall gegen Völkerrecht verstoßen?« Khan: »Wenn es der Verteidigung dient, darf man sicher auch mal auf den militärischen Teil des Flughafens von Tiflis eine Bombe werfen, und man darf feindliche Streitkräfte auch mal auf ihrem eigenen Gebiet zurückdrängen, um sich zu schützen. Dauerhaft etwa eine Sicherheitszone einrichten außerhalb Südossetiens oder auch nur jenseits der Waffenstillstandslinie, die ja teilweise sogar innerhalb Südossetiens verlief, dürfte Russland aber völkerrechtlich nicht.« Nota bene: Moskau hat zugesichert, seine Soldaten keineswegs »dauerhaft« außerhalb Südossetiens zu belassen.

Fazit: Zum ersten Mal seit dem Ende der Sowjetunion haben die Russen eine völkerrechtswidrige Aggression des Imperialismus nicht nur beklagt, sondern sauber gestoppt. Darauf darf man gerne ein Fläschchen Moskovskaja trinken.

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