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Ein Traum für junge Vietnamesen

In Ho-Chi-Minh-Stadt nimmt demnächst die zweite deutsche Auslandsuniversität den Lehrbetrieb auf

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 3 Min.
Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) wird am 10. September im vietnamesischen Ho-Chi-Minh-Stadt eine vietnamesisch-deutsche Universität feierlich einweihen. Die Universität wird im Wissenschafts- und Technologie-Park der Boom-Stadt entstehen und ist nach Kairo die zweite deutsche Auslandsuniversität.

Die neue akademische Lehranstalt in Ho-Chi-Minh-Stadt ist eine hessische Domäne: Der Rektor und die meisten Dozenten kommen aus diesem Bundesland. Dieses Bundesland sowie die Bundesregierung und die Industrie stellen auch die Mittel für Forschung und Administration. Andere Bundesländer können sich daran beteiligen. Vietnam finanziert die Gebäude, Ausstattung sowie die Kosten für die Lehre.

Die Studenten dagegen sind Vietnamesen. Unterrichtssprache ist Englisch. Während des Studiums kann man, muss aber nicht, die deutsche Sprache erlernen. Vorgesehen sind an der vietnamesisch-deutschen Universität insgesamt zwölf Studiengänge in den Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften.

Im September startet der Betrieb zunächst mit 80 Studenten, weil sich der Aufbau der meisten Studiengänge verzögert. Grund sollen Unstimmigkeiten zwischen der deutschen und der vietnamesischen Seite sein. Auf die Frage, worüber man sich denn nicht einig sei, halten sich beide Seiten allerdings bedeckt. »Ziel ist es, mit der Hochschule ein Vorbild für die Reform des vietnamesischen Hochschulsystems zu schaffen«, sagt Ulrich Adolphs, Sprecher des Hessischen Wissenschaftsministeriums. »Dort soll die Freiheit von Lehre und Forschung praktiziert werden.« Außerdem ginge es um die Ausbildung qualifizierter Fachkräfte für internationale Investoren in Vietnam.

Aus gutem Grund, denn Vietnams Hochschulen platzen aus allen Nähten. Die Bevölkerung ist bildungshungrig, aber hunderttausende Studienanwärter müssen jedes Jahr abgewiesen werden, weil nicht genug Studienplätze vorhanden sind. Erschwerend kommt hinzu, dass eine Berufsausbildung lediglich in sehr wenigen Bereichen wie etwa als Tontechniker oder Krankenschwestern existieren. Für die meisten Schulabgänger heißt die Alternative: Studieren oder als ungelernte Arbeitskraft seinen Reis verdienen.

Traditionell haben Vietnams Hochschulen im Bereich von Naturwissenschaften und Medizin einen guten Ruf, wohingegen sie in anderen Bereichen international kaum anerkannt sind. Doch der rasche Aufbau neuer Studiengänge, bedingt durch die Gier internationaler Investoren nach Fachkräften, hat Qualitätsmangel zur Folge. Glaubt man der renommierten »Far Eastern Economic Review«, so könnte ein geplantes Chipwerk von Intel am Rande der Hauptstadt Hanoi daran scheitern, dass die an Vietnams Universitäten ausgebildeten Ingenieure nicht qualifiziert genug sind. Intel testete die Fähigkeiten von 2000 Studenten, von denen nur 40 über die minimale Intel-Qualifikation verfügt haben sollen.

Das wiederum ist kein Wunder. Denn in Vietnam soll ein Studium vor allem rasch sein. Ab der 6. Klasse muss Schulgeld und an den Hochschulen Studiengebühren gezahlt werden. Da legen ganze Großfamilien zusammen und erwarten von Tochter oder Sohn, dass sich die Investition schnell rechnet, das heißt, dass er oder sie schnell fertig studiert, eine gut bezahlte Stelle annimmt und zum Familieneinkommen beiträgt. Studienzeiten, die länger als drei Jahre dauern, werden kaum akzeptiert, und ein Fachstudium ist dann auch noch vollgepackt mit Militärlagern und anderen fachfremden Inhalten. Da kommt die Fachausbildung logischerweise zu kurz. Und Raum für eigenes wissenschaftliches Arbeiten ist bei verschulten Studienabläufen fast nicht vorhanden.

Das soll an der vietnamesisch-deutschen Universität anders sein. Ulrich Adolphs verspricht für die vietnamesisch-deutsche Hochschule moderate Studiengebühren. Dennoch wird diese Hochschule lediglich einer reichen Oberschicht offen stehen. Denn Unterrichtssprache ist Englisch, das bei Aufnahmetests auch kontrolliert wird. Und ein vietnamesischer Abiturient in Vietnam spricht diese Fremdsprache nicht so gut, dass er Vorlesungen verfolgen kann. Ohne einen sehr umfangreichen Zusatzunterricht in Englisch ist das kaum zu schaffen. Der aber muss teuer bezahlt werden. Dadurch werden die Absolventen allerdings auch befähigt, internationale Fachliteratur zu lesen. Praktika bei deutschen Unternehmen sind ebenso vorgesehen wie eine Master- oder Promotionsphase an deutschen Universitäten. Wer diese absolviert, erwirbt auch einen in Deutschland anerkannten Abschluss – ein Traum für junge Vietnamesen. Und ein Traum sicher auch für die deutsche Industrie.

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