Politur für das ramponierte Image

Scharfe Kritik im Europaparlament an »Sozialagenda« der Brüsseler Kommission

  • Holger Elias, Brüssel
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Europäische Kommission hat im Juli eine Agenda verabschiedet, die dazu beitragen soll, dass die Politik der Europäischen Union wirksam auf die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen der heutigen Zeit reagieren kann. Die Europaparlamentarier hatten dazu in dieser Woche allerdings sehr kritische Anmerkungen.
Abseits der Realität: Werbeaktion für Gleichheit am Gebäude der Brüsseler EU-Kommission
Abseits der Realität: Werbeaktion für Gleichheit am Gebäude der Brüsseler EU-Kommission

Der erklärte Anspruch der Europäischen Kommission war es, mit der Sozialagenda eine Antwort auf die neuen Anforderungen hinsichtlich des technologischen Wandels, der Globalisierung und der Alterung der Bevölkerung zu geben. Die EU-Politik müsse mit diesen Veränderungen Schritt halten und die Menschen bei der Anpassung an die neuen Bedingungen unterstützen, heißt es in der Mitteilung »Eine erneuerte Sozialagenda: Chancen, Zugangsmöglichkeiten und Solidarität im Europa des 21. Jahrhunderts«. Das Paket umfasst Initiativen in den Bereichen Beschäftigung und Soziales, Bildung und Jugend, Gesundheit, Informationsgesellschaft und Wirtschaft.

Die Kommission schlägt beispielsweise eine Richtlinie vor, mit der die Bürger auch außerhalb der Bereiche Beschäftigung und Beruf vor Diskriminierungen aufgrund der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung geschützt werden. Ein anderer im Paket enthaltener Legislativvorschlag zielt darauf ab, den Zugang von Patienten zur Gesundheitsversorgung in anderen europäischen Ländern zu erleichtern. Im Kern sieht der Vorschlag allerdings vor, dass Patienten, die sich im Ausland behandeln lassen, die Behandlungskosten vorerst selbst übernehmen müssen. Rückerstattet würde dann nur der Betrag, der auch im Heimatland zu bezahlen gewesen wäre. Diesen Vorschlag will die EU-Kommission während der zweiten Septembersitzung des Europäischen Parlaments vorstellen.

Mit Spannung wurden die Aussagen der EU-Kommission zu einigen Urteilen des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zum Thema Sozialdumping erwartet. In den letzten Monaten hatte der EuGH mit einigen Entscheidungen den Weg dafür praktisch frei gemacht und z. B. die unterschiedliche Bezahlung von einheimischen und ausländischen Arbeitskräften bestätigt. Allerdings gaben die Kommissionsvertreter vor den Abgeordneten nur Allgemeinplätze zum Besten, so etwa die Ankündigung, dass die Entwicklungen weiter analysiert und mit den Sozialpartnern sowie den Mitgliedstaaten erörtert werden müssten. Die Kommission kündigte zu diesem Thema ein spezielles Forum im Herbst an. Dort wolle man die Problematik der Wahrung sozialer Rechte angesichts einer zunehmenden Arbeitskräftemobilität diskutieren. Die Kommission gab keinen Hinweis darauf, dass sie die Entsendungsrichtlinie überarbeiten wolle.

Gerade diese Forderung stellte der Deutsche Gewerkschaftsbund auf. Nach den jüngsten Urteilen des EuGH, beispielsweise gegen das niedersächsische Vergabegesetz, seien Veränderungen der Richtlinie dringend nötig, um Lohn- und Sozialdumping in Europa den Riegel vorzuschieben, begründete DGB-Wirtschaftsexperte Bernd Lange. Eine überarbeitete EU-Entsenderichtlinie müsste klarstellen, dass für Arbeitnehmer aus dem EU-Ausland bei Löhnen und Arbeitsbedingungen die Vorschriften des Gastlandes gelten.

Auch im Brüsseler Plenum wurde die Enttäuschung zahlreicher Abgeordneter zur Sozialagenda der Kommission deutlich. »Viele Worte, wenig Konkretes«, fasste ein Parlamentarier zusammen. Eine Abgeordnete fügte hinzu, das Paket ziele darauf ab, von der aktuellen Politik – etwa dem irischen Nein zum Lissabonner EU-Vertrag – abzulenken. Der ehemalige Europaabgeordnete Lange sagte, dass die EU-Kommission gut ein Jahr vor dem Ende ihrer Amtszeit versuche, ihr »ramponiertes soziales Image aufzupolieren«. Diese Agenda sei »aber nur ein soziales Deckmäntelchen, denn in zentralen Politikfeldern wird kein Fortschritt für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sichtbar«.

Die Koordinatorin der Linksfraktion im Ausschuss für Beschäftigung und Soziales, Gabriele Zimmer, erklärte, es mangele den Maßnahmen »entweder an Konkretheit und Zielstrebigkeit, um sozialen Fortschritt zu erlangen oder sie zielen sogar in die entgegengesetzte Richtung«. Ihre Fraktion lehne das Paket ab, weil damit der Prozess des Sozialabbaus nicht gestoppt werde. Auch ihrer Auffassung nach solle es vorrangig vom fortschreitenden Sozialabbau innerhalb der EU ablenken.

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