Gefahr für die Wiege des Abendlandes

  • Mona Grosche
  • Lesedauer: 2 Min.
Seit Mitte dieser Woche läuft der Film »Und macht euch die Erde untertan« in deutschen Kinos. Darin dokumentiert sind die internationalen Proteste gegen das umstrittene Ilisu-Staudamm-Projekt in der Südost-Türkei.

»Wir sind hier aufgewachsen, wo sollen wir sonst hin?«, fragt ein verzweifelter Bauer in die Kamera. Er ist einer von vielen Betroffenen, die in der 60-minütigen Dokumentation von Christoph Walder zu Wort kommen. Sein Film zeigt die Aktivitäten der internationalen Protestbewegung, die unter dem Motto »Stop Ilisu« versucht, den Bau des gigantischen Staudammprojekts im Südosten der Türkei zu verhindern. In der türkischen Bevölkerung stößt die Kampagne auf immer breitere Sympathie und hat etwa mit Sänger Tarkan oder dem Hamburger Regisseur Fatih Akin mittlerweile auch prominente Fürsprecher.

Die Zeit drängt, wie Ulrich Eichelmann, Koordinator der Kampagne und Mitautor des Films, berichtet: »Vorbereitende Arbeiten für den Bau sind bereits im Gang.« Umso dringender mahnt die Professorin Zeynep Akunkai: »Die Stadt Hasankeyf ist eine einmalige Kombination aus der Arbeit von Mensch und Natur, sie ist einzigartig«! Hasankeyf, einst Knotenpunkt der Seidenstraße, und etwa 190 weiteren Orten der Region droht die Überflutung. Auf 300 Quadratkilometern soll dort der Ilisu-Stausee entstehen, den die Türkei mit Hilfe eines deutsch-schweizerisch-östereichischen Konsortiums bis zum Jahr 2014 zur Stromerzeugung errichten will. Experten sind skeptisch: Nur 3,2 Prozent des türkischen Strombedarfs könnten so gedeckt werden – ein Anteil, der leicht über Solar- und Windkraft zu sichern wäre. Sollte Ilisu Wirklichkeit werden, drohen Kulturschätze aus 10 000 Jahren Menschheitsgeschichte in den Fluten zu versinken, rund 50 000 Menschen verlören ihre Heimat und die Existenz. Auch aus ökologischer Sicht ist der Stausee bedenklich: Sedimente und Versalzung bedrohen die Trinkwasserversorgung und empfindliche Ökosysteme am Tigris.

Die Nachbarstaaten Syrien und Irak betrachten die Pläne mit Sorge: Mit dem Staudamm am Oberlauf könnte nicht nur die Wasserqualität sinken, sondern ihren Bauern kurzerhand das Wasser abgedreht werden. Ihre Forderungen nach Konsultationen (wie im internationalen Recht vorgesehen) ignoriert die türkische Regierung weitgehend. Auch um andere internationale Standards schert man sich dort wenig, so der aktuelle Bericht einer Kommission unter der Leitung des Weltbankexperten Prof. Michael Cernea, die im Auftrag der schweizerischen, deutschen und österreichischen Regierungen im Mai 2008 zum zweiten Mal vor Ort war. Fast alle der 153 Auflagen, die man als Finanzierungsbedingung gestellt hatte, sind bis dato unerfüllt. Hier, so Eichelmann, ist nun die Politik gefragt, ihre Unterstützung des Projektes über Bürgschaften neu zu überdenken: »Mit öffentlichem Druck auf die Regierungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz kann man das Ruder noch herumreißen.«

Vorführungen: Hamburg (18. September, Abaton), Bremen (19. September, Kino 46), München (8. Oktober, Atelier); Infos: stopilisu.com

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